Anforderungsanalysen

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Damit die Eignung zur Funktion passt[1]

Die Auswahl geeigneten Personals entscheidet einerseits über den beruflichen Erfolg von Mitarbeitern andererseits auch über die Wettbewerbsfähigkeit von Unter­nehmen. Eignung meint die passende Verknüpfung der Anforderungen einer Funk­tion im Unternehmen mit Ausprägungen von Personenmerkmalen. Die Untersuchung der Eignung ist die Anforderungsanalyse.

Anforderungsanalysen ermöglichen Auswahlverfahren für die optimale Passung von Person und Funktion, damit Menschen zu ihrem Arbeitsplatz passen – und umgekehrt.

Funktionen in Unternehmen bieten nicht nur wissens-, fähigkeits- und fertigkeits­entsprechende Aufgaben, sondern ermöglichen oder unterstützen auch Motivation und Befriedigung der Mitarbeiter. Da die Befriedigung individueller Bedürfnisse und hohe intrinsische Motivation positiven Einfluss auf Arbeitsergebnisse haben,[2] sind sie ebenso zu berücksichtigen wie die Anforderungen einer Funktion.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Analyse von Arbeitsplätzen verschiedener Komplexität und Spezifität für die Besetzung von Stellen reichen bis ins 19. Jahr­hundert zurück – sowohl als tätigkeitsspezifische wie auch als tätigkeitsübergreifende Anforderungsanalysen.[3] Arbeitsanalysen, die sich primär mit der Gestaltung von Arbeitsplätzen befassen, sind impliziter Bestandteil von Anforderungsanalysen.[4]

Obgleich in der Berufseignungsdiagnostik die Verbindung von Arbeitswelt und Personen „fast mehr Kunst als Wissenschaft“[5] zu sein scheint, können methodisch saubere validierte Anforderungsanalysen zur optimalen Besetzung von Arbeits­plätzen führen.

Methoden der Anforderungsanalyse

Anforderungsanalysen lassen sich nach ihrem methodischen Zugang zum Informa­tionsgewinn klassifizieren: in die erfahrungsgeleitet-intuitive, die arbeitsplatzanaly­tisch-empirische und die personenbezogen-empirische Methode.[6]

Die erfahrungsgeleitet-intuitive Methode basiert einerseits auf Erfahrung mit den auszuübenden Tätigkeiten und andererseits auf mit dieser Erfahrung verknüpften Faktoren – etwa mit der Tätigkeit verbundenen Personen, Materialien oder Programmen. Sie kann bei hoher Expertise für die Tätigkeiten und die mit ihnen verbundenen Anforderungen zu zufriedenstellenden Zuordnungen führen.[7] Experten werden nach ihrer Meinung zu den Anforderungen für das Tätigkeitsfeld befragt und die Ergebnisse für die Personalauswahl genutzt. Bei geringerer Kenntnis des Tätigkeitsfeldes und des damit verbundenen Anforderungsspektrums empfiehlt sich, die erfahrungsgeleitet-intuitive Methode mit einer empirischen zu ergänzen.

Die arbeitsplatzanalytisch-empirische Methode gewinnt Informationen zu den Anforderungen einer Funktion mittels standardisierter validierter Instrumente – wie Fragebögen, Verhaltensbeobachtungen und (teil-)standardisierte Interviews.[8] Da die Methode mit der Anforderung an Personenmerkmale eine intuitive Kompo­nente erhält, erfordert sie eine streng formalisierte Zuordnung der Tätigkeitselemente zu den möglichen Ausprägungsgraden dieser Merkmale.

Die personenbezogen-empirische Methode untersucht die Zusammenhänge zwischen Merkmalen bereits in einer Funktion beschäftigter Personen und der Bewältigung von Anforderungen sowie der Befriedigung dieser Personen durch die funktionsgegebenen Möglichkeiten. Eine offensichtliche Schwäche dieser Methode liegt in den Personenmerkmalen, die sich besonders durch Übung beziehungsweise Auseinandersetzung mit einer Tätigkeit bilden. Zum Beispiel ist es möglich, dass die hohe Ausprägung einer spezifischen Fertigkeit erst in der Funktion erreicht wurde, und sie deshalb für die Auswahl unerfahrener Personen keine beziehungsweise nur eine untergeordnete Rolle spielen darf. Außerdem resultiert aus der Vorauswahl von Personen mit bestimmten Eigen­schaften ein selektionsdiagnostisches Problem. Arbeiten in einer Funktion beispielsweise ausschließlich Personen mit einem Hochschulabschluss, kann statistisch nicht festgestellt werden, ob der Abschluss mit der Erfüllung funktionsspezifischer Anforderungen in diesem Bereich korreliert. Selbst wenn bestimmte Eigenschaften klar mit Anforderungen verknüpft werden können, sind sie mit verlässlichen, objektiven und validen Instrumenten zu erheben, etwa mit standardisierten Fragen und verhaltensverankerten Ratingskalen für Interviews oder Verhaltensbeobachtungen.[9]

Die Unterscheidung wichtiger Eigenschaftsbereiche für die Personalpsychologie wird durch die Abkürzung KSAs + P gegeben – Knowledge, Skills, Abilities and Personality; Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Persönlichkeit. Während die Begriffe „Persönlichkeit“ und „Wissen“ auch im alltäglichen Sprachgebrauch eindeutig einzuordnen sind, beleuchtet die Differenzierung zwischen Fähigkeiten und Fertigkeiten wichtige Kriterien erst bei genauer Betrachtung:

Fähigkeiten bezeichnen zeitstabile Merkmale einer Person, die nicht oder nur schwer veränderbar sind, wodurch sie auch in nur sehr geringem Maße als erlern- oder trainierbar gelten. Das gilt vor allem für kognitive Merkmale wie (allgemeine) Intelligenz oder – als spezifischeres Merkmal – Konzentration.

Fertigkeiten hingegen bezeichnen erlern- oder trainierbare Merkmale und Verhal­tensweisen, die also nicht zwangsläufig bei einem Bewerber vorhanden sein müssen, wenn eine Funktion in einer Organisation neu besetzt wird – beispielsweise Kenntnisse über EDV oder Buchhaltung, aber auch interaktionale Aspekte wie Verhandlungsführung oder Perspektivenwechsel.

Ein guter Überblick und eine zusätzliche Auseinandersetzung mit dem recht inflationär genutzten Begriff Kompetenz[10] findet sich in „Grundlagen der psycho­logischen Diagnostik“.[11]

Um ein breites Informationsspektrum nutzen zu können, liegt nahe, möglichst meh­rere Methoden zu einer Anforderungsanalyse heranzuziehen. Soll jedoch nur ein Verfahren eingesetzt werden, bietet sich die arbeitsplatzanalytisch-empirische Methode an.[12]

Klassifikationen von Anforderungsanalysen

Die verschiedenen Ansätze zu Anforderungsanalysen unterscheiden sich grund­sätzlich durch ihr entweder deduktives oder induktives Vorgehen.[13] Die beiden Verfahrensweisen schließen einander nicht etwa aus, sondern können sich ergänzen.

Um einen Tätigkeitsbereich gezielt zu analysieren, nutzen deduktive Methoden bereits bestehende Listen von Merkmalen – zumeist in Kategorien unterteilt – für eine möglichst vollständige Merkmalklassifikation.[14]

Induktive Methoden hingegen nutzen Informationen von Experten – auch von Funktionsinhabern – zur Erstellung von Listen zu Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten und weiteren Anforderungen einer Funktion in einer Organisation. Aus den Listen wird eine Taxonomie oder ein Analyseverfahren gewonnen – auch als mögliche Grundlage für ein deduktives Vorgehen.

Eine weitere Distinktion von Anforderungsanalysen bieten Aufgaben-, Verhaltens- und Eigenschaftsebene. Die Berücksichtigung dieser Analyseebenen führt zu erfolgreicheren Maßnahmen bei der Besetzung von Stellen als ihre Vernach­lässigung.[15]

Auf der Aufgabenebene werden Tätigkeiten oder deren Elemente analysiert. Mithilfe von Aufgabeninventaren können Tätigkeiten beziehungsweise Tätigkeits­elemente bezüglich ihrer Häufigkeit, Schwierigkeit, Bedeutung – oder anderer Kriterien – in standardisierter Form beurteilt werden. Dabei ist der Grad der Detailliertheit entscheidend: Eine zu grobe Tätigkeitsbeschreibung kann zu wenig Information bieten oder zu Fehlschlüssen bei Anforderungen führen, während eine zu detaillierte Beschreibung die Erstellung eines Inventars erschwert und die Vergleichbarkeit mit anderen Funktionen in der Organisation einschränkt.

Auf der Verhaltensebene werden Analyseverfahren genutzt, um Erfolgskriterien zu erschließen, die sich im Verhalten der Funktionsinhaber zeigen. Sie sind die „wohl verbreitetste und methodisch reichhaltigste Form der Arbeits- und Anforderungs­analyse“[16] – Beispiele sind Arbeitssimulationen oder -proben, welche nach fest­gelegten verhaltensbezogenen Kriterien ausgewertet werden. Bei der Konstruktion solcher Simulationen oder Proben können Fragebögen mit nach Kriterien wie „Häufigkeit“ und „Wichtigkeit“ zu beurteilenden Items oder Verfahren wie die Critical Incident Technique[17] genutzt werden.

Auf der Eigenschaftsebene werden Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten analysiert, die zu erfolgreicher Ausführung einer Tätigkeit führen. Anstatt sich bloß auf die intuitiv-induktive Vorgehensweise zu verlassen, werden Eigenschaftslisten erstellt. Hierarchische Verfahren untersuchen faktorenanalytisch[18] die Relationen zwischen verschiedenen Eigenschaften. Außerdem können bestehende Listen von kognitiven, physischen und psychomotorischen Eigenschaften – wie die Ability Requirement Scales[19] – zur Analyse herangezogen werden. Zunehmend bedeutungsvoll für Anforderungsprofile auf der Eigenschaftsebene ist die Synthetisierung beziehungsweise die synthetische Validierung, die Listen von Eigenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutung für Arbeitselemente einschätzt, die für eine bestimmte Tätigkeit relevant sind.[20] Wie bei den meisten diagnostischen Verfahren können auch eigenschaftsanalyti­sche Ansätze nach ihrem Standardisierungsgrad gruppiert werden.[21] Dabei werden unterschieden:[22]

  • Unstandardisierte Verfahren
  • Hilfsmittelfreie Verfahren, zum Beispiel der erste Eindruck
  • Teilstandardisierte Verfahren
  • Grobe Ablaufstrukturen und Leitfäden, zum Beispiel die Critical Incident Technique
  • (Voll-)Standardisierte Verfahren
  • Objektive Verfahren, zum Beispiel Fragebögen

Zusätzlich lassen sich Anforderungsanalysen unterteilen nach verhaltensanalyti­schen Ansätzen, die sich direkt mit der Analyse von Aufgaben und Anforderungen einer Tätigkeit beschäftigen, sowie nach Ansätzen zur Analyse psychischer Regulationsgrundlagen, die komplexere theoriegeleitete Verfahren beinhalten.[23]

Messinstrumente der Anforderungsanalyse

Die verbreitetsten Messinstrumente zur Analyse von Anforderungen sind vier deutschsprachige Verfahren und das amerikanische O*Net. Sie beziehen sich vor allem auf die Verhaltensebene, berühren aber auch die Eigenschafts- und Personen­ebene:

Critical Incident Technique (CIT)[24]
Critical Incidents sind „Schlüsselereignisse“.[25] Die CIT ist ein teilstandardisiertes Interview mit dem Fokus auf erfolgskritische Situationen, in dem die Fragen fest­stehen, nicht aber ihre Reihenfolge. Die CIT definiert Ereignisse als beobachtbare Aktivitäten, hinreichend für Inferenzen und Vorhersagen über im Ereignis aktive Personen. Als kritisch bezeichnet sie Ereignisse mit entscheidenden und für Beobachter sowie Teilnehmer nachvollziehbaren Konsequenzen. Ergänzt werden Verhaltensweisen, die zur erfolgreichen Bewältigung der Schlüsselereignisse führen beziehungsweise in der Vergangenheit geführt haben. Nach der Bewertung der Schlüsselereignisse zu Häufigkeit der Erwähnung oder – durch die Stellen­inhaber – zu Bedeutsamkeit oder Auftretenswahrscheinlichkeit werden repräsen­tative Beispielsituationen formuliert, die dann Bewerbern vorgelegt werden.

Für die Bewertung empfiehlt sich eine Likert-Skala, welche den Ausprägungsgrad einer Einschätzung auf festgelegten Stufen abbildet. Um eine Mittelkategorie und mit ihr einhergehende Probleme auszuschließen,[26] ist eine sechsstufige Skala eine gute Wahl, damit die Einschätzungen anhand der gewählten Kriterien quantifiziert werden können.

Fragebogen zur Arbeitsanalyse (FAA)[27]
Die deutsche Übersetzung des „Position Analysis Questionnaire (PAQ)“[28] ermittelt Anforderungen, um Arbeitsbereiche und -positionen zu klassifizieren und zu beschreiben. Das Verfahren orientiert sich am Arbeitsverhalten aktueller Stellen­inhaber und ist in vier Hauptabschnitte gegliedert:
1. Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung
2. Arbeitsausführung
3. Arbeitsrelevante Beziehungen
4. Umgebungseinflüsse und besondere Arbeitsbedingungen
Der Fragebogen enthält 221 Items, die auf einer Skala nach Kriterien wie „Häufig­keit“, „Wichtigkeit“ oder „Zeitdauer“ eingestuft werden können.

Fleishman Job Analyse System für eigenschaftsbezogene Anforderungsanalysen (F-JAS)[29]
Die deutsche Version des englischen F-JAS[30] basiert auf einer Taxonomie rele­vanter Leistungsvoraussetzungen berufs- und tätigkeitsbezogener Deskriptoren zur erfolgreichen Bewältigung von Tätigkeiten. Das Instrument beruht auf der Annahme, dass spezifische Arbeitstätigkeiten durch spezielle Anforderungsprofile charakterisierbar sind und umfasst Skalen zu den Bereichen Kognition, Psycho­motorik, physische Merkmale, Sensorik und Wahrnehmung sowie soziale und interpersonelle Fähigkeiten und Fertigkeiten. Diese Skalen sollen von Experten des jeweiligen Arbeitsbereiches bearbeitet werden, um ein passendes individu­elles Anforderungsprofil zu erhalten.

Bedeutsamkeit und Erfüllungsgrad von Anforderungen[31]
Das Instrument „Bedeutsamkeit und Erfüllungsgrad von Anforderungen“ ist sowohl tätigkeitsspezifisch als auch für breiter gefasste Tätigkeitsgruppen konstruiert und kann im Grad der Detailliertheit zielsetzungsentsprechend variiert werden. Es be­wertet verhaltensbezogene Aussagen von Personen, die mit dem Arbeitsbereich vertraut sind, sowie Einschätzungen bezüglich der Bedeutsamkeit von Anforde­rungselementen und das Ausmaß, zu dem die jeweiligen Anforderungselemente von den derzeit in der Organisation tätigen Mitarbeitern erfüllt werden. Deshalb ist es ein Instrument, das sowohl zur Auswahl neuer Mitarbeiter, als auch zur Fest­stellung von Personalentwicklungsbedarf genutzt werden kann.

Occupational Information Network (O*Net)[32]
Das O*Net wurde mit Unterstützung des US Department of Labor entwickelt und besteht aus hierarchisch geordneten Auflistungen tätigkeits- und berufsbezogener Deskriptoren. Es ist kein Instrument im engeren Sinn, sondern eine unterstützende Taxonomie von Anforderungen, die thematisch zu sechs Kategorien mit zusätz­lichen Unterkategorien zusammengefasst sind (Die Begriffe in Klammern sind Beispiele.):

  • Worker Requirements (Education)
  • Experience Requirements (Training, Experience)
  • Occupational Requirements (Work context)
  • Worker Characteristics (Abilities)
  • Occupational Characteristics (Wages, Labour Market Info)
  • Occupation-Specific Requirements (Tasks, occupational Skills)

Zusätzlich enthält das O*Net vollständige Stellenbeschreibungen für viele Berufe, welche Grundlage für eigene Anforderungsanalysen und Stellenbeschreibungen bilden können. In weniger elaborierter Form bietet auch die Bundesagentur für Arbeit einen als „BerufeNet“ bezeichneten Service, welcher als Informationsbasis für Anforderungsanalysen im deutschsprachigen Raum genutzt werden kann.

Evaluation und Qualitätssicherung von Anforderungsanalysen

Anforderungsanalysen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Personalauswahl – in einer Qualität, die valide, verlässliche und auch faire Ergebnisse liefert. Die bekann­testen Qualitätsstandards für Anforderungsanalysen sind die ISO 10667 und die DIN 33430. Während die ISO 10667 vor allem in der Diagnostik angewendet wird und sich unter anderem auf Leistung, Kooperation und Effizienz bezieht sowie Leit­linien für vielschichtig angelegte Analyseverfahren von beispielsweise Assessment Centern bietet, ist die DIN 33430[33] eine Prozessnorm für die berufsbezogene Eig­nungsbeurteilung und hat in der Praxis größere Relevanz[34]. Die DIN 33430 ist auch Grundlage des Testbeurteilungssystems des Diagnostik- und Testkuratoriums[35] der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen.

Die DIN 33430 stellt umfassende Qualitätsstandards für unterschiedliche Facetten von Anforderungsanalysen auf mit dem Ziel, sie zur Überprüfung der Qualität des Angebotes einsetzen zu können und Bewerbern maximale Fairness zu sichern. Mit den Standards können Personalverantwortliche und Dienstleister sachgerechte Eignungsbeurteilungen durchführen.

Die Fachliteratur[36] gibt auf Basis der DIN 33430 Hinweise und Richtlinien für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung: Sie nennt rechtliche Rahmenbedingungen, setzt sie in Beziehung zur praktischen Testsituation und geht auch auf psychome­trische Grundlagen für Testverfahren und Verhaltensbedingungen ein.

Für Anforderungsanalysen liegt der Fokus der DIN 33430 auf Qualitätsstandards zu den Informationsquellen, zu absehbaren Unternehmensentwicklungen und zum adäquaten Einsatz von Analyseinstrumenten wie Verhaltensbeobachtungen und vor allem Fragebögen. Für die Qualität der Ergebnispräsentation von Anforderungs­analysen ist die Überprüfbarkeit eines der Hauptkriterien, um einen für alle Beteiligte klaren Analyseprozess mit relevanten Schlussfolgerungen sicherzustellen. Ein Überstrapazieren der Validität eignungsdiagnostischer Verfahren kann ein Soll-Ist-Vergleich zur Personalentwicklung verhindern, in den auch strukturelle Mängel von Arbeitsplätzen, -bereichen und Organisationen einbezogen werden.

Zur Zertifizierung kann durch eine offizielle Prüfung eine Lizenz zur offiziellen Anwendung der DIN 33430 erworben werden. Die Prüfung wird vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen abgenommen.

Einsatz von Anforderungsanalysen in der Praxis

Um die passende Person für eine Funktion in einer Organisation auszuwählen, lässt sich aus einer Vielzahl von Anforderungsanalysen aussuchen, wie vorzugehen ist. Die Entscheidung fällt meist für eine empirische Variante, da die erfahrungsgeleitet-intuitiven Vorgehensweisen nur bei außerordentlich großer Erfahrung mit dem Arbeitsgebiet nicht unterlegen ist.[37] Um die Probleme des personenbezogen- empirischen Vorgehens zu vermeiden und wegen der deutlich höheren Anzahl geeigneter Verfahren, wird meist die arbeitsplatzanalytisch-empirische Variante bevorzugt.

Einsatz 1Nach der Entscheidung für die Vorgehensweise folgt die Wahl der geeignetsten Methode, die meist für ein Verfahren mit dem Fokus auf die Verhaltensebene getroffen wird – wegen der methodisch reichhaltigsten Auswahl.[38] Ein Verfahren zur Analyse der Aufgaben- oder Eigenschaftsebene kann ergän­zend hinzugezogen werden.

Die CIT ist als Messinstrument eine zwar etwas aufwändigere, doch sehr nutz­bringende Variante, für die Informationen zu kritischen Schlüsselereignissen im betroffenen Arbeitsbereich gesammelt und zur Bewertung objektiv formuliert werden. Die Informationen lassen sich in einem Workshop zusammenstellen.

Abschließend wird das Anforderungsprofil auf Vollständigkeit geprüft und mit ihm die konkreten Benennungen der Anforderungen. Untersuchungen zu beispielsweise der Trainier- und Kompensierbarkeit von Anforderungen oder auftretenden Redundanzen können das Verfahren ergänzen.

Ist nun eine Batterie an verständlich beschriebenen Situationen zu den Anforderun­gen der Funktion in der Organisation erstellt, wird ein halbstandardisiertes Interview vorbereitet, in dem dann Bewerber mit den Schlüsselereignissen konfrontiert werden und ihr dazu angestrebtes Verhalten angeben sollen. – Die Schlüsselsituationen können auch simuliert werden, wobei geschulte Beobachter das Verhalten der Bewerber erfassen. – Mithilfe der zuvor bestimmten erfolgversprechenden Verhaltensweisen für alle Situationen lässt sich auswerten, zu welchem Grad jeder Bewerber die Anforderungen erfüllt hat, und eine Rangfolge der Bewerber erstellen.

Insgesamt ist die Analyse von Anforderungen und ihre Überführung in prüfbare Verhaltensweisen eine komplexe und flexible Operation. Die Vorgehensweise lässt selbst in ihrer einfachen Konstruktion viele Adaptierungen zu – etwa die Nutzung feststehender Anforderungslisten aus dem FAA oder dem O*Net als unterstützende Informationsquellen. Mit all ihren Standardisierungen und Verfahrensrichtlinien sind Anforderungsanalysen für die erfolgreiche Personalauswahl Risiko und Chance zugleich.

Sven Hilbert[39]

Quellen und Anmerkungen

[1] Gekürzte Version des Kapitels „Die Bedeutung von Anforderungsanalysen“ (2015).
In: Koch, S. / Kersting, M. / Weingarz, S. (Herausgeber) Auf die richtigen Mitarbeiter kommt es an – Personaldiagnostik und ihre Anwendung. Stuttgart: Deutscher Sparkassenverlag, 151-162.
[2] Hackman, J. R. / Oldham, G. R. (1976). Motivation through the design of work: Test of a theory. Organizational behavior and human performance, 16(2), 250–279.
[3] Nerdinger, F. W. / Blickle, G. / Schaper, N. (2008). Arbeits-und Organisationspsychologie. Heidelberg: Springer.
[4] Hacker, W. (2005). Allgemeine Arbeitspsychologie: Psychische Regulation von Wissens-, Denk-und körperlicher Arbeit (2. Auflage). Bern: Huber.
[5] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe, 89.
[6] Eckhardt, H. / Schuler, H. (1999). Berufseignungsdiagnostik. In Jäger, R., / Petermann, F., Psychologische Diagnostik (4. Auflage). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
[7] Hirsh, H. R. / Schmidt, F. L. / Hunter, J. E. (1986). Estimation of employment validities by less experienced judges. Personnel Psychology, 39(2), 337–344.
[8] Eine Liste der Hauptinformationsquellen für Anforderungsanalysen findet sich in: Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe, 70.
[9] Bühner, M. (2011). Einführung in die Test-und Fragebogenkonstruktion. München: Pearson.
[10] Erpenbeck, J. / Rosenstiel, L. von. (2005). Kompetenz: Modische Worthülse oder innovatives Konzept. Wirtschaftspsychologie aktuell, 12(3), 39–42.
[11] Ziegler, M. / Bühner, M. (2012). Grundlagen der psychologischen Diagnostik. Lengerich: Pabst.
[12] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[13] Williams, K. M. / Crafts, J. L. (1997). Inductive job analysis: The job/task inventory method. Applied measurement methods in industrial psychology, 51–88.
[14] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe, 69.
[15] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[16] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe, 73.
[17] Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological bulletin, 51(4), 327.
[18] Faktorenanalysen sind inferenzstatistische Verfahren, welche die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Variablen (im diagnostischen Bereich vorrangig Eigenschaften und Merkmale) hinsichtlich ihrer Höhe quantifizieren.
[19] Fleishman, E. A. / Quaintance, M. K. / Broedling, L. A. (1984). Taxonomies of human performance: The description of human tasks. Academic Press.
[20] Johnson, J. W. / Steel, P. / Scherbaum, C. A. / Hoffman, C. C. / Richard Jeanneret, P. / Foster, J. (2010). Validation is like motor oil: Synthetic is better. Industrial and Organizational Psychology, 3(3), 305–328.
[21]  Ziegler, M. / Bühner, M. (2012). Grundlagen der psychologischen Diagnostik. Lengerich: Pabst.
[22] Reimann, G. (2005). Anforderungsanalyse, Konstrukte und Prozeduren der Eignungsbeurteilung. In Westhoff, K. / Hellfritsch, L. J. / Hornke, L. F. / Kubinger, K. D. / Lang, F. / Moosbrugger, H. / Püschel, A. / Reimann, G., Grundwissen für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung nach DIN 33430 (2., überarbeitete Auflage). Lengerich: Pabst, 111-127.
[23] Sonntag, K. (2006). Personalentwicklung in Organisationen: psychologische Grundlagen, Methoden und Strategien (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[24] Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological bulletin, 51(4), 327.
[25] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[26] Bühner, M. (2011). Einführung in die Test-und Fragebogenkonstruktion. München: Pearson.
[27] Frieling, E. (1999). Fragebogen zur Arbeitsanalyse (FAA). Handbuch psychologischer Arbeits­analyseverfahren (Mensch, Technik, Organisation, Band 14). Zürich: Hochschulverlag an der ETH Zürich.
[28] McCormick, E. J. / Jeanneret, P. R. / Mecham, R. C. (1972). A study of job characteristics and job dimensions as based on the Position Analysis Questionnaire (PAQ). Journal of Applied Psychology, 56(4), 347.
[29] Fleishman, E. A. / Kleinmann, M. (2010). Fleishman-Job-Analyse-System für eigenschaftsbezogene Anforderungsanalysen: F-JAS; Manual. Göttingen: Hogrefe.
[30] Fleishman, E. A. / Quaintance, M. K. / Broedling, L. A. (1984). Taxonomies of human performance: The description of human tasks. Academic Press.
[31] Schuler, H. (2014). Psychologische Personalauswahl. Eignungsdiagnostik für Personalentscheidungen und Berufsberatung (4. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[32] Peterson, N. G. / Mumford, M. D. / Borman, W. C. / Jeanneret, P. R. / Fleishman, E. A. /
Levin, K. Y. / Pearlman, K. (2001). Understanding work using the Occupational Information Network (O* NET): Implications for practice and research. Personnel Psychology, 54(2), 451–492.
[33] Die neue Auflage der DIN 33430 ist für das Jahr 2016 geplant.
[34] Hinweise zur sachgerechten Durchführung von Methoden der Eignungsbeurteilung gibt das Buch „Grundwissen für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung nach DIN 33430“, herausgegeben vom Diagnostik- und Testkuratorium (DTK) der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen.
[35] TBS_TK, 2. Fassung, 2008
[36] Westhoff, K. / Hagemeister, C. / Kersting, M. / Lang, F. / Moosbrunger / H., Reimann, G. / Stemmler, G. (2010). Grundwissen für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung nach DIN 33430
(3. Auflage). Lengerich: Pabst.
[37] Schuler, H. / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[38] Schuler, H., / Kanning, U. P. (2014). Lehrbuch der Personalpsychologie (3. Auflage). Göttingen: Hogrefe.
[39] Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Sven Hilbert, M. Sc., M. Sc. ist Professor für Methoden der empirischen Bildungsforschung an der Universität Regensburg.