Nach dem Harvard-Konzept verhandeln

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Interessen dialektisch zusammenführen[1]

Verhandelt wird in vielen Situationen: beim Kaufen und Verkaufen, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, bei der Gestaltung von Zusammenarbeit, vor familiären Entscheidungen, zum Festlegen von Schnittstellen, zu Kulanzfragen, zur Kooperation von Unternehmen, für den Handel zwischen Staaten, … – immer wenn verschiedene Interessen zu einer Einigung führen sollen.

Die Beteiligten an Verhandlungen verhalten sich recht unterschiedlich: Manche sprechen eher wenig, andere viel. Manche verschaffen sich Dominanz und üben Druck aus, andere schaffen Harmonie und behandeln alle freundlich. Manche wollen sich primär als Sieger fühlen, andere wollen primär ein tragfähiges Ergebnis. Manche lügen für den eigenen Vorteil, andere bleiben stets bei der Wahrheit. Manche fühlen sich den anderen überlegen, andere betrachten die anderen als gleichwertig, … – Jeweils nach der eigenen Erfahrung, dem subjektiven Menschenbild, den individuellen Erfolgen verhandeln einige hart, einige andere weich.

Weiches Verhandeln Hartes Verhandeln
  • Die Teilnehmer an der Verhandlung betrachten einander als Freunde.
  • Die Teilnehmer an der Verhandlung sehen sich als Gegner.
  • Ihr Ziel ist eine Übereinkunft mit der Gegenseite.
  • Ihr Ziel ist der Sieg über die Gegenseite.
  • Sie machen Konzessionen zur Verbesserung der Beziehung.
  • Sie sehen eine gute Beziehung als Voraussetzung für Konzessionen.
  • Sie haben eine freundliche Einstellung zu den Menschen und Sachverhalten.
  • Sie haben eine harte Einstellung zu den Menschen und Sachverhalten.
  • Sie vertrauen den Verhandlungspartnern.
  • Sie misstrauen den Verhandlungspartnern.
  • Sie ändern bereitwillig Ihre Position.
  • Sie beharren auf Ihrer Position.
  • Sie unterbreiten Angebote.
  • Sie drohen.
  • Sie legen ihre Verhandlungslinie offen.
  • Ihre Verhandlungslinie bleibt verborgen.
  • Für die Einigung nehmen sie einseitige Zugeständnisse in Kauf.
  • Sie fordern einseitige Gewinne als Preis für die Einigung.
  • Sie suchen nach einer Antwort, die von anderen akzeptiert werden kann.
  • Sie suchen nach einer Antwort, die sie selbst akzeptieren.
  • Sie bestehen auf einer Übereinkunft.
  • Sie bestehen auf ihrer Position.
  • Sie versuchen, Willenskämpfe zu vermeiden.
  • Sie wollen Willenskämpfe gewinnen.
  • Sie geben starkem Druck nach.
  • ·Sie üben starken Druck aus.

Konzept

Das Harvard-Konzept zum vernünftigen Verhandeln stellt nicht das harte und weiche Verhandeln einander gegenüber, sondern legt den Fokus auf das sachgerechte Verhandeln: auf den Verhandlungsgegenstand einerseits und auf die Beziehung zwischen den Verhandlungspartnern andererseits. Es konzentriert sich nicht auf die Positionen der Verhandlungspartner, sondern auf ihre dahinterliegenden Interessen. Das Verhandeln nach dem Harvard-Konzept pendelt zwischen Sachebene und Beziehungsebene. Es propagiert, einfühlsam zu den Menschen zu sein, gleichzeitig  hart in der Sache. Das Verhandeln nach dem Harvard-Konzept vermeidet Ängste und Befürchtungen, Unterstellungen und Annahmen, Vorurteile und Schuldzuweisungen.

Beim sachgerechten Verhandeln verstehen sich die Beteiligten als Problemlöser, ihr Ziel ist ein tragfähiges und vernünftiges, ein effizient und gütlich erreichtes Ergebnis. Sie behandeln Menschen und Sachverhalte getrennt: Sie sind freundlich zu den Menschen und hart in der Sache. Sie suchen ein Ergebnis unabhängig vom jeweiligen Durchsetzungswillen. Sie lösen sich von ihrem Vertrauen oder Misstrauen. Sie erkunden Interessen und konzentrieren sich nicht auf Positionen. Sie vermeiden eine Verhandlungslinie, sondern suchen nach dem Nutzen,der eine Einigung bringt. Sie bestehen auf objektiven Kriterien, erst danach entscheiden sie. Sie geben keinem Druck nach – nur sachlichen Argumenten. Sie bauen konstruktive Beziehungen auf und gehen den Sachverhalt an – nicht die Menschen. Sie verhalten sich bestimmt, aber flexibel.

Beim sachgerechten Verhandeln versetzen sich die Beteiligten in die Lage ihrer Verhandlungspartner, in ihre Ängste, ihre Zwänge, ihre Verpflichtungen, ihren Stress, … Sie sorgen für konstruktive Beteiligung auch der Gegenseite am Verhandlungsprozess, indem sie die Vorstellungen, die Wünsche, die Ideen beider Seiten ansprechen. Wenn sie Absichten ihrer Verhandlungspartner zu erkennen glauben, prüfen sie, ob nicht die eigenen Befürchtungen ihre Einschätzung täuschen. Zeigen sich Probleme, schieben sie die Schuld dafür nicht der Gegenseite zu. Sie bemühen sich ernsthaft, die Situation und die Vorstellungen der Gegenseite zu verstehen, und stimmen ihre eigenen Vorschläge auf deren Wertesystem ab. Auf diese Weise entstehen oft unerwartete Lösungen.

Beim sachgerechten Verhandeln anerkennen die Beteiligten die Emotionen der Gegenseite und ihre eigenen – zum Beispiel Ärger. Sie akzeptieren ihre eigenen Emotionen und artikulieren sie. Der Gegenseite gestatten sie, negative Emotionen loszuwerden. Doch sie reagieren nicht auf emotionale Ausbrüche.

Beim sachgerechten Verhandeln hören die Beteiligten einander aufmerksam zu und paraphrasieren, was sie verstanden haben. Sie überlegen, bevor sie sprechen, welche Wirkung das Gesagte haben kann, und sie formulieren verständlich. Sie reden über sich, nicht über die Gegenseite. Symbolische Gesten zeigen ihre Höflichkeit: Sie stehen auf, wenn jemand hereinkommt, sie reichen zur Begrüßung die Hand, sie schenken Kaffee ein.

Beim sachgerechten Verhandeln gehen die Beteiligten respektvoll miteinander um. Sie sind sich bewusst, dass sie sowohl rational auf der Sachebene wie auch emotional auf der Gefühlsebene miteinander interagieren. Deshalb reflektieren sie, was sie denken und fühlen. Danach verhandeln sie entsprechend, indem sie:

  1. Präliminarien klären
  2. Interessen erkunden
  3. Optionen entwickeln
  4. Objektive Kriterien anwenden
  5. Einigung und Alternativen bedenken
  6. Vernünftige Entscheidungen treffen

Präliminarien

Am Beginn eines Verhandlungsgesprächs mag wegen der Wichtigkeit des Verhandlungsgegenstands oder wegen der Erfahrungen der Verhandlungspartner miteinander oder auch wegen eventueller Vorgaben die Spannung bei den Verhand­lungspartnern hoch sein – trotz freundlicher Begrüßung, trotz interessanter Konversation. Reduzieren lässt sich die Spannung durch Klarheit, wie die Verhandlung verlaufen soll: durch kurzes Wiederholen der Präliminarien, die vor dem Verhandlungsgespräch vereinbart wurden.

Wer die Eröffnung des Verhandlungsgesprächs übernimmt – das muss nicht zwangsläufig der Initiator des Gesprächs sein – und sich als formelle oder informelle Gesprächsleitung zu erkennen gibt, spricht die Beteiligten an und sagt auch etwas zu sich selbst und seiner Absicht für die Verhandlung. Die Gesprächseröffnung endet meist mit einer öffnenden Frage an die Gesprächsrunde, um sich vorzustellen oder ihre Absichten und Wünsche kundzutun.

Je genauer die Vorstellung aller Beteiligten ist, wie das Verhand­lungsgespräch verlaufen soll, welches Ergebnis angestrebt wird und welchen Nutzen alle davon haben, umso effizienter kann das Gespräch verlaufen. Kein Verhandlungspartner erwartet, dass er etwas umsonst bekommt. Eher befremdend oder gar verdächtig wäre, wenn nicht auch die anderen Beteiligten einen Nutzen aus der Verhandlung ziehen wollten. Offen darzulegen, welchen Nutzen das Verhandlungsergebnis für alle Beteiligte haben kann, fördert das sachgerechte Verhandeln.

Interessen

Wer weich verhandeln, legt seine Verhandlungslinie offen; wer hart verhandelt, verbirgt sie. Wer sachgerecht verhandelt, vermeidet eine Verhandlungslinie.

Verhandlungslinien sind geprägt von bewusst definierten Positionen, die vor der Verhandlung festgelegt wurden, zum Beispiel:

  • Höchstens 25 Prozent der Steuererleichterung darf durch Schulden finanziert sein.
  • Unser Anteil an der Finanzierung muss mindestens ein Drittel des Gesamtvolu­mens betragen.
  • Dieselbe Dienstleistung in Quantität und Qualität soll 10.000 Euro pro Jahr günstiger werden.

Unumstößliche Positionen helfen vielleicht, bei unerfahrenen Verhandlungspartnern die eigenen Ziele durchzusetzen, doch sie provozieren Darstellungsgespräche, sabotieren die Gesprächsdynamik und können eine Einigung verhindern. In sachgerechten Verhandlungsgesprächen ist das Vorgeben von Positionen meist nur ein Test, der offenbaren soll, wie die Verhandlungspartner reagieren. Förderlicher für das vernünftige Verhandeln ist das Offenbaren der Interessen, die zu den Positionen geführt haben.

Interessen sind die Gründe für die Positionen.

Werden – aus welchen Gründen auch immer – im Verhandlungsgespräch Positionen vorgestellt, können gezielte Fragen zu den dahinterliegenden Interessen führen, zum Beispiel:

  • „Warum möchten Sie das?“
  • „Was ist Ihnen dabei wichtig?“
  • „Welche Interessen könnten eine Lösung verhindern?“

Sachgerechtes Verhandeln erkundet die Interessen aller, die vom Verhandlungsgegenstand betroffen sind. Um die Interessen zu finden, sprechen die am Verhandlungsgespräch Beteiligten über sie. Sie machen ihre eigenen Interessen deutlich und anerkennen die Interessen der anderen. Die Interessen an einer Verhandlung sind sehr vielfältig – wichtig, meist die wichtigsten, sind die persönlichen Interessen.

Um die Interessen zu ermitteln, sprechen die Verhandlungspartner über die Zukunft, nicht über die Vergangenheit. Oft hilft, zunächst die eigenen Interessen vorzustellen, die zu möglichen eigenen Positionen geführt haben, damit den Verhandlungspartnern deutlich wird: In der Verhandlung sollen die Interessen aller Beteiligten erfüllt werden – zum Nutzen aller.

Wenn die herausgearbeiteten Interessen für alle sichtbar notiert werden, je nach Größe der Gesprächsrunde auf einem Blatt Papier oder am Flipchart, können sich die Beteiligten später auf sie beziehen.

Leichter finden lassen sich die Interessen der Beteiligten, wenn sie nach den drei Arten von Interessen suchen und sie im Verhandlungsgespräch ansprechen:

  • Gemeinsame Interessen
  • Ausgleichbare Interessen
  • Ergänzende Interessen

Gemeinsame Interessen lassen sich meist schnell finden, weil sie zur Verabredung des Verhandlungsgesprächs beigetragen haben oder selbstverständlich erscheinen, zum Beispiel:

  • Kontinuität: Auftraggeber und Dienstleister wollen jeweils mit dem ihnen bekannten Geschäftspartner weiter zusammenarbeiten.
  • Zuverlässigkeit: Die Verhandlungspartner wollen mit Entscheidern zu Ergebnissen kommen, die in ihren Organisationen dann auch realisiert werden.
  • Wirtschaftlichkeit: Das Verhandlungsergebnis soll marktgerecht sein und einen Nutzen für alle Beteiligte haben.

Im Gegensatz zu den gemeinsamen erscheinen ausgleichbare Interessen auf den ersten Blick so gegensätzlich, als ließen sie sich nicht miteinander vereinbaren. Doch oft hilft ein bisschen Nachdenken, vielleicht auch etwas Übung im dialektischen Gegenüberstellen von Thesen und Antithesen, um eine Synthese zu finden, die solche Interessen ausgleicht, etwa:

  • Die Interessen zweier Abteilungsleiter, ein bestimmtes Projekt zu übernehmen, könnten zu einem gemeinsamen Projekt führen.
  • Die unterschiedlichen Interessen, ein Risiko einzugehen, könnten zur Bewertung durch einen externen Dienstleister führen.
  • Das Interesse einer Führungskraft, neues Know-how in seinem Verantwortungsbereich zu rekrutieren, und das Interesse eines Personalverantwortlichen, Kündigungen zu vermeiden, könnten zu einer Fortbildung führen.
Zwei Männer streiten in einer Bibliothek. Der eine möchte das Fenster offen haben, der andere möchte es geschlossen. Sie streiten, wie weit das Fenster geöffnet sein soll: einen Spalt breit, halb offen, drei Viertel offen … Keine Lösung befriedigt beide. Die Bibliothekarin kommt herein. Sie fragt den einen, warum er das Fenster öffnen möchte.

„Ich brauche frische Luft.“

Sie fragt den anderen, warum er das Fenster lieber geschlossen hat.

„Wegen der Zugluft.“

Nach kurzem Nachdenken öffnet sie im Nebenraum ein Fenster weit. Frische Luft kommt herein, ohne dass es zieht.

Die Bibliothekarin hat die Interessen ausgeglichen.[2]

Andere Interessen lassen sich ergänzen, wenn auch vielleicht nicht ohne zu überlegen, jedoch wenn über sie gesprochen wird, zum Beispiel:

  • Versicherer und versichertes Unternehmen haben jeweils ihre Vorstellung, wie Anzahl und Höhe der Schäden zu reduzieren sind.
  • Die jeweils Verantwortlichen für Markt und Marktfolge in einer Bank ringen um die Bewertung eines Engagements.
  • Die Bereiche Konstruktion und Produktion etablieren einen einheitlichen Prozess zur Kooperation.

Aus der Frage „Warum?“ wird die Frage „Wozu?“, denn die Absicht, die mit dem Interesse verbunden ist, lässt sich womöglich realisieren.

Zwei Schwestern stehen in der Küche und streiten um eine Orange.

Nachdem sie übereingekommen sind, die Frucht zu halbieren, nimmt die erste ihre Hälfte, isst das Fruchtfleisch und wirft die Schale weg.

Die andere Schwester nimmt ihre Hälfte, wirft das Innere weg und benutzt die Schale zum Kuchenbacken.

Sie hatten ergänzende Interessen.[3]

Optionen

Nach dem Sammeln der Interessen entwickeln die Verhandlungspartner möglichst viele kreative und hypothetische Optionen, wie die Interessen erfüllt werden könnten. Dabei trennen sie das Finden von Optionen vom Beurteilen der Optionen. Sie formulieren zuerst mögliche Optionen und bewerten sie später. – Diese Vorgehensweise ist bekannt vom Brainstorming.

Das Sammeln kreativer Optionen zum Vorteil aller Beteiligter meint noch nicht das Formulieren von Vorschlägen, die den Verhandlungspartnern die Entscheidung erleichtern, sondern stellt die spätere Entscheidung auf eine breitere und gemeinsam entwickelte Grundlage. Sinnvoll, aber nicht unbedingt notwendig ist das Fahnden nach Optionen zusammen mit allen Verhandlungspartnern.

Das Brainstorming in Verhandlungen ist ein unsystematisches, spontanes Sammeln von Optionen und Ideen, Vorschlägen und Erwartungen in lockerer Atmosphäre.

Ein Moderator erklärt den Zweck des Brainstormings und die Regeln.

  • Möglichst viele Optionen sammeln – Masse geht vor Klasse
  • Jede Assoziation soll genannt werden – „Spinnen“ ist ausdrücklich erlaubt
  • Alle Ideen gehören der Gruppe, nicht einem Einzelnen – kein Copyright
  • Keine Bewertung der Nennungen erlaubt – Verbot der Kritik

Der Moderator nutzt ein Flipchart zur Visualisierung und wählt als Überschrift „Optionen“. Die Verhandlungsteilnehmer rufen dem Moderator ihre Ideen zu, die er untereinander möglichst wortgleich mitschreibt. Sehr umfangreiche Aussagen lässt er von dem Zurufer selbst zusammenfassen. Er verändert oder bewertet keine Beiträge und achtet darauf, dass die Regeln strikt eingehalten werden.

Gute Bedingungen hat das Brainstorming, wenn die Teilnehmer nebeneinander sitzen – möglichst nicht am Verhandlungsort – und die Optionen für alle gut sichtbar gesammelt werden. Stockt die Produktion denkbarer Optionen, hilft der Moderator, die Ideenflaute zu überbrücken, zum Beispiel durch:

  • Verweisen auf zuvor geäußerte Interessen
  • Pendeln zwischen Besonderem und Allgemeinem
  • Betrachten der Sachverhalte aus der Perspektive verschiedener Experten
  • Fragen nach Optionen mit unterschiedlichen Wirkungen
  • Fragen nach Optionen mit verschiedenen Reichweiten

Hilfreich kann auch die Aufforderung sein, vorteilhafte Optionen für alle zu finden oder sich auf die Interessen mit höchster Priorität zu konzentrieren oder auf die die gemeinsamen Interessen oder auf das Kombinieren unterschiedlicher Interessen.

Nach der umfassenden Sammlung von Optionen streicht der Moderator im Einvernehmen mit den Beteiligten die unakzeptablen Ideen und markiert die aussichtsreichsten, damit die Verhandlungsrunde – vielleicht im Anschluss an eine Verhandlungspause – nach Möglichkeiten suchen kann, die realistischsten weiterzuentwickeln.

Beispiele für Optionen:

  • Übernahme zusätzlicher Risiken
  • Mengenrabatt
  • Änderung der Vereinbarungen zur Zusammenarbeit
  • Übertragung an einen externen Dienstleister
  • Reduzierung der Anforderungen

Kriterien

Um sich auf eine Option oder eine Kombination verschiedener Optionen zu einigen, sucht die Verhandlungsrunde nach gemeinsamen Kriterien, mit denen sie die Optionen bewertet. Sämtliche Bewertungskriterien, auf die sich alle Beteiligte einigen, sind – per definitionem – objektiv.

Objektive Bewertungskriterien helfen, Interessenkonflikte zu lösen, sofern die Beteiligten offen gegenüber einsichtigen Kriterien sind und vernünftig argumentieren, niemals auf Druck nachgeben, sondern sinnvolle Kriterien akzeptieren.

Mögliche objektive Kriterien:

  • Aufwand
  • Kosten
  • Zeit
  • Erfolgsaussichten
  • Durchführbarkeit

Kriterien teilen sich in zwei Kategorien: in weiche in harte Kriterien. Weiche Kriterien sind gar nicht oder nur mit Hilfsindikatoren als Kennzahlen darstellbar. Ihre ökonomische Handlungsrelevanz ergibt sich aus der Kraft gruppendynamischer Prozesse.[4] Harte Kriterien lassen sich in betriebswirtschaftlichen Kennzahlen ausdrücken.

Beispiele weicher Kriterien: Beispiele harter Kriterien:
  • Tradition
  • Kosten
  • Fairness
  • Testergebnisse
  • Sicherheit
  • Berechnungen
  • Gleichbehandlung
  • Beträge
  • Wechselwirkungen
  • Prozente
  • Präzedenzfälle
  • Marktwert
  • Gutachten
  • Steuerbescheide
  • Wirksamkeit
  • Verträge
  • Tragbarkeit
  • Fristen

Kriterien lassen sich variieren: Die Wirkung weicher Kriterien kann verstärkt werden, die Wirkung harter Kriterien kann abgeschwächt werden. In den Variationsmöglichkeiten steckt während Verhandlungen oft die Chance für eine Einigung, auch wenn das Gespräch noch so festgefahren erscheint, zum Beispiel[5]:

  • Beim Kriterium Dauer lässt sich die Laufzeit eines Vertrags oder die Gültigkeit einer Vereinbarung verlängern oder verkürzen.
  • Beim Kriterium Qualität lassen sich zulässige Abweichungen eingrenzen oder Details definieren oder Standards als Absicht beschreiben oder Abweichungen mit Pönalen versehen.
  • Beim Kriterium Information lassen sich punktuelle Mitteilungen vereinbaren oder ausführliche, ebenso seltenere oder häufigere.
Kriterium Weichere Wirkung Härtere Wirkung
Beteiligte Weniger Mehr
Bereich Ausgewählt Ausgeweitet
Umfang Geringer Weiter
Lösung Übergreifend Teilweise
Gebiet Definierte Orte Regionen
Inhalt Zum Verfahren Sachlich
Geltung Partiell Umfassend
Umstand Bedingt Bedingungslos
Priorität Nachrangig Erstrangig
Stärke Beabsichtigt Bindend

Indem sie sich auf Kriterien verständigen und beabsichtigte Wirkungen beschreiben und dann auf die Optionen beziehen, entwickeln die Verhandlungspartner eine gemeinsame Vorstellung von der angestrebten Einigung.

Einigung

Das Ergebnis, auf das sich die Verhandlungspartner aufgrund des Anwendens der Kriterien einigen – eine der Optionen oder ein Konglomerat aus mehreren Optionen –, erscheint ihnen vorteilhaft, realisierbar und nützlich. Die Einigung ist aus der Situation heraus vernünftig. Doch ist die gefundene Übereinkunft wirklich das Optimum?

Vor der Entscheidung prüfen also die Verhandlungspartner, ob sie das Ergebnis akzeptieren, indem sie das Scheitern bedenken: Wäre nicht der Abbruch der Verhandlung die bessere Alternative? – Ihre Bedenken sind doppelt nützlich:

  • Sie schützen vor einem Verhandlungsergebnis, das sie besser nicht eingehen sollten.
  • Sie bestätigen ein Verhandlungsergebnis, das ihren Interessen – trotz Widrigkeiten – nutzt.

Um ihre beste Alternative zur gefundenen Einigung zu entwickeln, erstellen sie eine Liste von Konsequenzen, die eintreten könnten, falls die Verhandlung scheitert, zum Beispiel:

Negative Konsequenzen: Positive Konsequenzen:
  • Es entsteht ein erheblicher Aufwand, sich einen neuen Kooperationspartner zu suchen.
  • Die Vertragsbindung läuft aus und ein Kooperationspartner mit besseren Konditionen lässt sich finden.
  • Die Produktion wird unterbrochen, weshalb Kunden unzufrieden werden, das Rating bei der Bank sinkt und der Aktienkurs des Unternehmens fällt.
  • Die Produktion wird umgestellt auf ein aktuelleres Erzeugnis, weshalb Umsatz und Ertrag ebenso steigen wie das Rating und der Aktienkurs.
  • Der Umzug in eine neue Immobilie verzögert sich.
  • Eine andere Immobilie erfüllt ihren Zweck womöglich besser.

Realistische Konsequenzen konkretisieren sie zu praktischen Handlungen. Die beste Alternative stellen sie der Einigung gegenüber. In gleicher Weise untersuchen sie auch die beste Alternative der anderen Seite.

Entscheidung

Wer mit erfahrenen Gesprächspartnern sachgerecht verhandelt, übt keinen Druck aus und gibt keinem Druck nach, denn die Wahrscheinlichkeit, das Sachliche aus den Augen zu verlieren, wäre zu hoch und die  gesamte bis dahin geleistete Verhandlungsarbeit wäre gefährdet.

Zwei Personen stehen sich frontal gegenüber. Die rechte Hand der einen Person ist an die rechte Hand der anderen Person gelegt. Eine der beiden Personen beginnt, mit der Hand zu drücken. Wie reagiert die zweite Person? Höchstwahrscheinlich wird sie spontan gegendrücken.

Wenn die gefundene Einigung besser erscheint als die beste Alternative, vernünftiger ist, als die Verhandlung scheitern zu lassen, klar ist in ihren Konsequenzen, wenn deutlich ist, was aufgrund der Einigung geschieht, dann können sich die Beteiligten entscheiden.

Die Entscheidung fällt umso leichter, je klarer die wesentlichen Merkmale der Einigung sind und welche Wirkungen sie für die Situation der Beteiligten hat. Deshalb kann hilfreich sein, die wichtigsten Vorteile und den Nutzen zusammenzufassen und die Auswirkungen der Entscheidung mit ihren Modalitäten für die Verhandlungspartner zu nennen – je konkreter, desto besser.

Das Ergebnis der Verhandlung steht fest, wenn deutlich ist, wer wann wie handelt.

Peter Hilbert

Quellen

[1] Basierend auf: Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton. Das Harvard-Konzept
[2][3][5] Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton. Das Harvard-Konzept
[4] Jan Lies