Sonor und volltönend sprechen
Stimme transportiert mehr als bloß Worte. Sie drückt Gefühle aus und bewirkt Gefühle. Sie vermittelt Glaubwürdigkeit und Kompetenz oder auch Schwäche und Unsicherheit – zu Recht oder zu Unrecht. Stimme kann anziehend oder enervierend wirken, kindlich, weiblich oder männlich, sie kann ängstlich wirken oder überzeugend. Unsere Stimme verweist auf unsere Persönlichkeit und unsere Befindlichkeit, zumindest in der Wahrnehmung anderer – geprägt von Kultur, Erfahrungen und der aktuellen Situation.
Stimme ist individuell, einmalig wie ein Fingerabdruck – geformt durch die Gewohnheit von Atmung und Stimmgebung sowie durch die spezifische Anatomie von Kehlkopf, Stimmlippen, Mund und Nasenhöhle. Die Lunge liefert die Luft, der Kehlkopf mit den Stimmlippen bestimmt den Klang und das Ansatzrohr – Mund und Nase – sowie die Resonanzräume – vor allem die Hohlräume des Schädels und der Brust – geben der Stimme ihre Sonorität. Beim Sprechen formen gezielte Bewegungen von Zunge, Mund und Gaumensegel die Laute der Sprache.
Stimme beeinflusst durch ihren Klang immer auch die Stimmung, bei sich selbst wie bei anderen. Durch die Stimme wird die Stimmung hörbar. Ein ängstlicher Mensch spricht leise, ihm ist seine Angst anzuhören. Ein vorsichtiger Mensch hat eine vorsichtige Stimme, einem aggressiven Mensch ist seine Aggressivität anzuhören. Beim Sprechen wirkt die Stimme durch ihre Tonhöhe, Lautstärke und Stimmfarbe sowie durch das Sprechtempo und die Sprechpausen.
Nicht das Wort allein ist das wirkungsvolle an unserer Sprache. Erst durch die Schwingungen des Tons beginnt das Wort zu leben.[1] |
Kehlkopf
Der Kehlkopf umgibt die Luftröhre in Höhe der Stimmritze, die mit ihren Stimmlippen die Luftröhre verschließen kann, sonst aber weit geöffnet ist, damit die Luft ungehindert ein- und ausströmen kann. Der Kehlkopf ist oben und unten mit Muskeln verbunden.
- Beim Schlucken heben Muskeln den Kehlkopf nach oben.
- Beim Gähnen ziehen Muskeln den Kehlkopf nach unten.
Am besten entfaltet sich die Stimme, wenn sich der Kehlkopf beim Sprechen in mittlerer Stellung – also in Indifferenzlage – befindet. |
Der Kehlkopf (Larynx) ermöglicht die Manipulation der Töne. Er besteht aus:
- Schildknorpel (Cartilago thyroidea)
- Ringknorpel (Cartilago cricoidea)
- Zwei Stellknorpeln (Cartilagines arytaenoideae)
- Kehldeckel (Epiglottis)
Im Hohlraum über dem Schildknorpel, im Rachen (Pharynx), entsteht durch das Schwingen der Stimmlippen (Plica vocalis) der Klang (Resonanz). Die Stimmlippen sind am Ringknorpel angewachsen und bilden mit den beiden Stellknorpeln die Stimmritze (Glottis).
Stimmgebung
Die Stimmlippen bestehen aus einem Paar schmaler Muskelbänder im Kehlkopf. Bei leichter Spannung dieser Muskeln und gleichzeitigem Ausströmen der Luft schwingen die Muskelbänder. Bei der Stimmgebung (Phonation) versetzt die ausströmende Luft die bis auf einen schmalen Spalt geschlossenen Stimmlippen in Schwingungen. Je entspannter die Stimmlippen sind, desto langsamer schwingen sie in ihrer ganzen Masse und der Klang wird tiefer. Bei stärkerer Spannung schwingen sie schneller und nur mit ihrem inneren Rand und der Ton wird höher.
Die Phonation können Sie leicht überprüfen, indem Sie Ihre Finger oder Ihre Handflächen an den Hals legen: Die leichte Vibration der Stimmlippen ist zu fühlen – bei Männern etwa 125 Mal in der Sekunde (125 Hertz), bei Frauen etwa 250 Mal pro Sekunde (250 Hertz). |
Beim normalen Einatmen ist die Stimmritze etwa in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks geöffnet. Beim vertieften Einatmen stellen sich die Stellknorpel nach außen und die Glottis erhält die Form eines Fünfecks. Nach dem Einatmen schließt sich die Stimmritze. Beim Ausatmen bestimmt die Ausgangsstellung der Stimmlippen die Art des Stimmeinsatzes:
- Gehauchter Stimmeinsatz: Die Stimmritze ist zu Beginn der Phonation geöffnet wie beim Einatmen.
- Harter Stimmeinsatz: Die fest verschlossene Stimmritze wird zu Beginn der Phonation aufgesprengt. Dabei entsteht ein Knacklaut [ʔ], der Glottisschlag.
- Weicher Stimmeinsatz: Die Stimmritze öffnet sich mit dem Beginn der Phonation.
- Flüstern: Die Stellknorpel verengen die Stimmritze zu einem kleineren Dreieck als beim Einatmen. Die Stimmlippen schwingen nicht.
Die Art des Stimmklangs wird bestimmt von den Räumen zwischen Stimmlippen und Mundlippen. Die natürliche Sprechtonlage – die Indifferenzlage – umfasst etwa eine Quinte (fünf Töne der Tonleiter). Sie liegt bei Männern zwischen A und e und bei Frauen eine Oktave höher, also zwischen a und e‘.
Das Verständliche an der Sprache ist nicht das Wort selber, sondern Ton, Stärke, Modulation und Tempo, mit denen die Worte gesprochen werden – die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft, alles also, was nicht geschrieben werden kann.[2] |
Anleitung zum Üben
Stimmübungen trainieren das Entfalten der Stimme. Üben Sie an einem ruhigen Ort – im Freien oder zu Hause. Zum Üben Ihrer Stimme stellen Sie sich. Lassen Sie zwischen den Füßen einen Zwischenraum, damit Sie einen festen Stand haben. Lockern Sie Ihre Schultern, Ihre Arme und Beine.
Atmen Sie für alle Übungen durch die Nase ein. So lange Sie sich beim Üben wohlfühlen, praktizieren Sie die Übungen korrekt. Sollten Sie Schwindelgefühl, weiche Knie, Räusperzwang oder gar Halsschmerzen spüren, brechen Sie das Üben sofort ab.
Beim Einatmen durch die Nase wird die Atemluft befeuchtet, angewärmt und gereinigt. |
Üben Sie mehrmals täglich jeweils mindestens fünf Minuten. Verzichten Sie auf das Üben, wenn Sie sich unwohl oder gestresst fühlen.
Summen
Mit der Übung Summen entwickeln Sie die Sonorität Ihrer Stimme:
- Legen Sie Ihre Lippen leicht aufeinander – nicht gepresst.
- Atmen Sie tief in den Bauch ein.
- Summen Sie laut und kräftig – bis Sie keine Atemluft mehr haben.
Wiederholen Sie die Übung fünfmal.
Resonanz
Mit der Resonanz-Übung erweitern Sie die Resonanz Ihrer Stimme.[3] Beim Sprechen setzen Sie alle Hohlräume Ihres Körpers zur Resonanz ein – auch Kopf, Brust und Bauch. In Perfektion spüren Sie die Resonanz vom Scheitel bis zur Sohle:
- Sprechen Sie die Silben Zeile für Zeile und verbinden Sie sie dabei zu einem Legato. Die Vokale artikulieren Sie lang.
- Sprechen Sie die Silben mehrerer Zeilen auf einen Atem.
- Wiederholen Sie die ersten beiden Schritte mit kurzen Vokalen.
- Wiederholen Sie die ersten drei Schritte mit anlautendem [n].
- Wiederholen Sie die ersten drei Schritte mit anlautendem [l].
- Wiederholen Sie die ersten drei Schritte mit anlautendem [v].
- Wiederholen Sie die ersten drei Schritte mit anlautendem [z].
Klangräume
Durch die Übung Klangräume bekommt Ihre Stimme einen volleren Klang. Die Resonanz Ihrer Stimme bewirkt, auch mit scheinbar größerer Lautstärke anstrengungsfrei sprechen zu können. Kontrollieren Sie durch Auflegen von Zeige- und Mittelfinger auf dem Brustbein die Resonanz. Spüren Sie das Vibrieren:
- Lesen Sie die Wörter zunächst in normaler Lautstärke, dann immer lauter:
- Dehnen Sie die Aussprache des [ͻø].
Coupe de Glotte
Mit der Übung Coupe de Glotte[4] präzisieren Sie den festen Stimmeinsatz:
- Entspannen Sie Ihre Halsmuskulatur.
- Legen Sie Ihre Stimmlippen aufeinander.
- Sprengen Sie Ihre Stimmlippen beim Ausatmen auseinander.
Dabei hören Sie einen leisen Knacklaut [ʔ] aus der Stimmritze (Glottis), den Coup de Glotte.
Weicher Ansatz
Die Übung des weichen Ansatzes trainiert den weichen Stimmansatz vor Vokalen zum stimmschonenden Übergang von Konsonant zu Vokal. Bevor Sie den weichen Stimmansatz üben, sprechen Sie mit dem Bauchatmen ein lang gezogenes [f]:
- Atmen Sie mit dem Zwerchfell ein. Ihr Bauch wölbt sich leicht.
- Sprechen Sie leise die neun Silben langsam hintereinander.
Lassen Sie dabei die Konsonanten und Vokale sanft ineinander übergehen.
Es darf kein Knacklaut [ʔ] zu hören oder zu spüren sein.
Nasallänge
Mit der Übung Nasallänge nutzen Sie Nasale für Ihre Resonanz:
- Lesen Sie die Wörter langsam.
- Verweilen Sie dabei jeweils auf dem ersten Konsonanten – [n] beziehungsweise [m] –, bevor Sie zum [ɑ:] übergehen, um ein Wort zu sprechen.
Frequenzbereich
Mit der Übung zum Frequenzbereich erweitern Sie den Frequenzbereich Ihrer Indifferenzlage.[5]
- Sprechen Sie die Silben:
- beginnend links unten [bɑ:] mit Ihrer tiefsten Sprechstimme.
- Steigern Sie beim Sprechen die Tonhöhe:
- bis zur höchsten Sprechstimme bei [bɔø:] in der Mitte.
- Sprechen Sie weiter:
- beginnend bei [bɑ:] in Ihrer höchsten Sprechstimme.
- Senken Sie beim Sprechen die Tonhöhe:
- bis zur tiefsten Sprechstimme bei [bɔø:] rechts unten.
- Wiederholen Sie die Übung mit den anderen Verschlusslauten – statt [b]:
- mit [d]
- mit [g]
- mit [p]
- mit [t]
- mit [k]
Artikulation
Mit der Übung zur Artikulation trainieren Sie Ihre Stimme für das Sprechen.[6]
- Sprechen Sie zwei Minuten laut:
- [i:] – [e:] – [ɑ:] – [o:] – [u:]
- Sprechen Sie zwei Minuten lang zunächst laut, dann leise:
- [m]
- Sprechen Sie zwei Minuten lang zunächst laut, dann leise:
- [R]
- Sprechen Sie zwei Minuten lang übertrieben laut das [R] in verschiedenen Wörtern.
Stimmlippen
Mit der Übung Stimmlippen steigern Sie die Ansprechfähigkeit Ihrer Stimmlippen:
- Zählen Sie von eins bis zwölf und wieder rückwärts.
- Dabei sprechen Sie die ungeraden Zahlen laut und flüstern die die geraden Zahlen.
Bitte wiederholen Sie die Übung fünfmal.
In seiner Jugend stotterte der Grieche Demosthenes und seine Stimme war schwach. Er begann seine Stimme zu trainieren, indem er Kieselsteine in den Mund nahm und mit lauter Stimme gegen das Meer anschrie. Demosthenes wurde dann zu einem der größten Redner des Altertums. |
Ausdruckskraft
Lesen Sie laut Gedichte, Märchen, Erzählungen und Geschichten, in denen viel direkte Rede vorkommt. Lassen Sie dabei Ihre Stimme lebendig, dynamisch und ausdrucksstark klingen.[7]
Sprechen Sie so, dass Ihre Empfindungen zu spüren sind:
- helle Freude, strahlende Wonne, überschwängliche Heiterkeit, exzellenter Hochgenuss, sinnliches Vergnügen, äußerstes Wohlbehagen, …
oder
- tief sitzende Angst, schreckliches Grauen, namenloser Schrecken, dumpfe Trübsal, entsetzliche Furcht, quälender Schmerz, trauriges Schicksal, …
oder
- leiser Zweifel, niederdrückende Not, berechtigte Sorgen, gedrückte Düsternis, heftige Bedenken, äußerste Vorsicht, …
oder
- vernichtender Tadel, beißender Spott, verächtlicher Hohn, verletzender Sarkasmus, leichte Ironie, satanischer Zynismus, tiefe Verachtung, …
oder Ausrufe wie:
- „Ich will!“
- „Ein Mann – ein Wort!“
- „Alles oder nichts!“
- „Keine Gnade!“
- „Bis hierher und nicht weiter!“
- „Genug!“
- „Keine Widerrede!“
- „Elender Kerl!“
Indem Sie Texte laut lesen, steigern Sie Sie die Ausdruckskraft Ihrer Stimme. |
Peter Hilbert
Quellen
[1] Harald Scheerer. Wie Sie durch Ihr Sprechen gewinnen
[2] Friedrich Nietzsche
[3] Geert Lotzmann
[4] Geert Lotzmann
[5] Geert Lotzmann
[6] Reiner Kreutzmann
[7] Nikolaus Enkelmann