Lesen in Saccaden

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[1]Geübte Leser lesen, indem ihre Augen ruckartig über die Zeilen fahren. Diese kurzen Bewegungen werden Saccaden genannt, die mit Fixationsperioden von 0,2 bis 0,4 Sekunden abwechseln. Eine Zeile wird in mehreren Saccaden abgetastet, dann springt das Auge in einer großen Saccade nach links zum nächsten Zeilenanfang zurück.

Nur während einer Fixation wird visuelle Information aufgenommen. Bei einer durchschnittlichen Buch-Schriftgröße sind es fünf bis zehn Buchstaben, in der deutschen Sprache also etwa eins bis zwei Wörter. Dabei kann eine Saccade im Wortinneren enden oder dort beginnen. Von den höchstens zehn Buchstaben werden während eines Ruheintervalls nur die drei bis vier im Fixationspunkt liegenden scharf erfasst, die übrigen nimmt das Auge undeutlich und nur im Zusammenhang wahr. Wird der Sinn des Textes nicht klar, so springt das Auge in Regressions-Saccaden zurück und vergewissert sich des bereits Gelesenen.

Je geübter ein Leser ist, desto kürzer sind die Fixationsperioden und desto größer die Saccaden. Bei zu großen Saccaden oder zu kurzen Fixationsperioden – also bei zu großer Lesegeschwindigkeit – muss der Text erraten werden, wobei – zumindest bei einfachen Inhalten – die Redundanz der Sprache das Verständnis erleichtert. Doch auch nach intensivem Training hält sich die Zunahme der Lesegeschwindigkeit in Grenzen.

Worte und Wortbilder, die im visuellen Gedächtnis des Lesers gespeichert sind, werden schneller gelesen als unbekannte.

Welche Signale die Augenbewegungen steuern, ist noch nicht geklärt. Zeilenanfang, Zeilenende und Textabschnitte sind unabhängig von anderen äußeren Eigenschaften sicher solche Signale. Sie bestimmen die Saccaden zum Zeilenwechsel. Innerhalb einer Zeile ist jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Stelle fixiert wird, auch von der Sequenz vorausgehender Buchstaben beziehungsweise Wörter abhängig.

In deutschen Texten sind Wörter mit Großbuchstaben am Anfang häufigere Fixationsstellen als Wörter mit Kleinbuchstaben. Wahrscheinlich beeinflusst auch noch geringfügig die Art des ersten Buchstabens eines Wortes die Fixations­wahrscheinlichkeit. Bei langen Wörtern treten auch bei geübten Lesern Mehrfach-Fixationen auf.

Anscheinend spielt für die Abtastbewegung unserer Augen nicht nur die visuelle, sondern auch die sprachliche Struktur des Textes eine Rolle. Wahrscheinlich wird die Blickmotorik während des Lesens auch von den Sprachregionen des Gehirns kontrolliert.

Mithilfe der Registrierung von Augenbewegungen kann man die Lesbarkeit eines Drucksatzes objektiv überprüfen: Variiert man systematisch die Zeilenbreite, die Größe der Drucktypen sowie die Form der Typen und den Kontrast zwischen den schwarzen Buchstaben und dem Hintergrund, so wird der gleiche Text verschieden schnell gelesen. Abhängig von der Art des Drucksatzes ändern sich die Größe der Saccaden und die Saccadenfrequenz. Diese beim Lesen objektiv messbaren Variablen korrespondieren sehr gut mit dem subjektiven Eindruck mehr oder weniger guter Lesbarkeit von Drucksätzen.

Quelle

[1] Jost Hochuli. Das Detail der Typografie