Argumentieren

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Mit Gründen etwas bewirken

Angenommen, Sie möchten spazieren gehen. Sie haben lange gesessen und wollen sich bewegen. Die Sonne scheint und die Temperatur ist angenehm. Aber Sie haben keine Lust, alleine zu gehen; Sie möchten eine Begleitung. Nach kurzem Überlegen haben Sie eine Idee, wer Sie begleiten könnte, doch die Person Ihrer Wahl hat schon etwas anderes zu tun. Wie können Sie sie bewegen, mit Ihnen spazieren zu gehen?

Sie könnten ihr Geld anbieten. – Doch ein solches Angebot scheint Ihnen nicht angemessen, denn Sie sind miteinander befreundet.

Sie könnten ihr drohen. – Doch Sie befürchten, die Stimmung für den Spaziergang wäre dann nicht angenehm.

Sie könnten die Begleitung von ihr einfordern. Schließlich haben Sie ihr auch schon einige Gefallen getan. – Doch Sie wollen nicht moralisch werden, indem Sie den Spaziergang zur freundschaftlichen Pflicht erheben.

Sie könnten ihr versprechen, bei nächster Gelegenheit etwas für sie zu tun statt etwas ursprünglich Geplantes. – Doch Sie wollen das Spazierengehen nicht als Kompensationsgeschäft sehen.

Sie könnten ihr vorwerfen, sich ohne den Spaziergang mit Ihnen nicht richtig zu verhalten. – Doch Sie sind tolerant und akzeptieren, was sie tut.

Sie könnten ihre Motive für das, was sie gerade tut, infrage stellen. – Doch Sie lehnen es ab, ungefragt zu psychologisieren.

Sicher fallen Ihnen noch weitere Kommunikationsweisen ein, die Sie einsetzen könnten. Eine Möglichkeit werden Sie finden, die am ehesten mit Ihren Vorstellungen von Kommunikation in Einklang steht und womöglich zur gewünschten angenehmen Begleitung für den Spaziergang führt. Was halten Sie davon, mit der Person zu argumentieren? Womöglich könnten Sie ihr Argumente nennen, die ihr einleuchten, um sie für den Spaziergang zu gewinnen.

Zu argumentieren ist nützlich, wenn Sie jemanden bewegen wollen, etwas zu denken, auf das er allein nicht gekommen ist – etwa den Gedanken, mit Ihnen spazieren gehen zu können.

Zu argumentieren ist nützlich, wenn Sie bei jemandem mit wenigen Worten Emotionen entfachen wollen, die zuvor nicht erkennbar waren – etwa einen Spaziergang mit Ihnen als angenehmer zu empfinden als das, was er gerade getan hat.

Zu argumentieren ist nützlich, wenn Sie Ihre Meinung so plausibel darlegen wollen, dass ein anderer sich Ihrer Meinung anschließt – etwa der Meinung, dass sich ein Spaziergang mit Ihnen lohnt.

Zu argumentieren ist nützlich, wenn Sie jemanden zu einer Handlung veranlassen wollen, die er zuvor nicht vorhatte zu tun – etwa mit Ihnen spazieren zu gehen.

Sicher fallen Ihnen noch viele Situationen ein, in denen das Argumentieren nützlich ist: immer wenn Sie jemanden überzeugen wollen, wenn Sie ein Ziel haben, zu dem Sie jemanden hinführen wollen.

Argumentieren als Steuerung [1]

Wenn man das Handeln oder Denken einer Person steuern will, aber entweder keine wirkungssicheren Mittel der Steuerung besitzt oder über wirkungssichere Mittel verfügt, sie jedoch nicht einsetzen will, dann argumentiert man mit der Person. Argumentieren ist also nichtwirkungssichere Steuerung. Argumentierender und Partner können sogar dieselbe Person sein, wie bei einer Überlegung.

Zielen ist eigen, dass nicht sicher ist, dass sie erreicht werden. Genauso wenig ist sicher, durch Argumentieren die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Argumentieren ist nicht wirkungssicher, weil der Gesprächspartner nicht die Gründe akzeptieren muss, die dem Argumentierenden plausibel erscheinen. Womöglich hat der Gesprächs­partner nicht zugehört oder er hat den Zusammenhang nicht verstanden oder will ihn nicht verstehen oder er hat Prinzipien, die mit den angeführten Gründen kollidieren, oder er respektiert den Argumentierenden nicht oder er hat einen anderen Anlass, warum er die Akzeptanz der Gründe verweigert. Jedenfalls ist der Effekt der Steuerung nicht nur abhängig vom Argumentierenden, sondern auch von seinem Gegenüber.

Auch ist nicht jedes Kommunizieren gleich ein Argumentieren – etwa wenn keine Steuerung beabsichtigt ist. Gleichwohl wird im Alltag oft argumentiert, sei es bewusst oder auch nicht. Wer argumentiert, nennt Gründe für sein Gegenüber – manchmal gute Gründe, manchmal weniger gute. Gute Gründe leuchten dem Gegenüber ein und können bei ihm eine Änderung bewirken – eine Änderung des Denkens oder des Bewertens, vielleicht auch eine Änderung des Handelns.

Argumentieren für einen Spaziergang [2]

Anna:    „Kommst du mit spazieren gehen?“

Silvia:    „Ich habe zu tun.“

Anna:    „Schau mal, das Wetter ist so schön. Wer weiß, wie viele Sonnentage
wir noch haben.“

Silvia:    „Ich weiß nicht.“

Anna:    „Spazieren gehen ist doch gesund. Du gehst doch gerne an die
frische Luft.“

Silvia:    „Na gut, gehen wir.“

In dem Beispiel argumentiert Anna mit Silvia. Anna hat das Ziel, gemeinsam mit Silvia spazieren zu gehen. Sie will Silvia zu dem Entschluss bewegen, entgegen deren ursprünglichen Absicht, etwas anderes zu tun. Silvia soll sich ihr anschließen. Das Überzeugen gelingt. Offensichtlich haben die Gründe, die Anna anführte, Silvias Sinneswandel bewirkt.

Der erste Grund ist eher allgemein und auf die aktuelle Situation bezogen: das zurzeit schöne Wetter.

Der zweite Grund lenkt Silvias Gedanken auf das Risiko, die jetzt noch vorhan­dene Chance, bei sonnigem Wetter spazieren zu gehen, in naher Zukunft nicht mehr zu haben.

Der dritte Grund, die Gesundheit, ist wieder allgemein.

Der vierte Grund bezieht sich auf Silvias Emotionen, auf ihre Freude an der frischen Luft.

Annas Gründe sind Argumente, die Silvias mentale Handlung, den Sinneswandel, auslösen und zu Silvias realer Handlung, mit Anna spazieren zu gehen, führen. Annas Gründe sind gute Argumente, weil sie erfolgreich sind, und erfolgreich sind sie, weil sie Silvia ganz offensichtlich plausibel erscheinen.

Anna argumentiert schrittweise, sie nennt nicht alle ihre Argumente auf einmal. Anna bezieht sich auf die aktuelle Situation und löst durch den kommunikativen Prozess Silvias zunächst mentale und dann reale Handlung aus.

Argumentieren als Prozess [3]

Argumentieren ist der Prozess des situativ gesteuerten, mentale oder reale Handlungen auslösenden Kommunizierens.

Weder Anna noch Silvia müssen wissen, was Argumente sind, um sich an ihrem gemeinsamen Spaziergang bei sonnigem Wetter zu erfreuen. Doch in manchen Situationen kann das Wissen um Argumente die Steuerung erleichtern – sei es für den Steuerer oder für den Gesteuerten.

Argumente

Nicht alle Gründe sind wirkungsvolle Argumente und nicht alle Gründe, die dem Argumentierenden plausibel erscheinen, sind auch für sein Gegenüber plausibel. Entscheidend für die Überzeugungskraft eines Arguments ist nicht der Argumen­tierende, sondern sein Gegenüber. Der Argumentierende tut also gut daran, die Gründe, die er anführt, aus der Sicht seines Gegenübers zu prüfen.

Aus der Sicht der anderen Seite [4]

Um Erfolg zu haben, muss man den Standpunkt des anderen einnehmen und die Dinge mit seinen Augen betrachten.

Begründungen sind Gründe aus der eigenen Sicht, für das eigene Denken und Handeln. Sie können für den Gesprächspartner auch überzeugend sein, wenn er empathisch ist oder dem Argumentierenden sehr wohlgesonnen. Allerdings zeigen Begründungen wenig Empathie oder Entgegenkommen des Argumentierenden, sie werden eher als Ichbezogenheit interpretiert.

Argumente sind Gründe aus der Sicht des Gesprächspartner, die eher überzeugend wirken, weil sie sich auf die Sichtweise des anderen beziehen. Der Argumentierende nimmt sich zurück und nennt Nützliches für sein Gegenüber. Das Anführen von Argumenten wird als Partnerorientierung erlebt.

Gründe als Begründungen und als Argumente [5]

Angenommen, ein Magenkranker sucht zwei Ärzte auf. Beide stellen dieselbe Diagnose und geben denselben Rat. Beide beginnen so: „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Man kann Ihr Magenleiden mit Medikamenten behandeln oder durch eine kleine Operation beseitigen.“ Doch sie nennen unterschiedliche Gründe:

Begründung: „Ich rate Ihnen zur Operation, denn ich bin selbst daran interessiert. Wir brauchen nämlich in unserer Klinik laufend krankes Magengewebe zu Forschungszwecken.“

Argument: „Ich rate Ihnen zur Operation. Nach drei Wochen werden Sie gesund und munter wieder zu Hause sein – endgültig befreit von Ihrem Leiden.“

Während eine Begründung die eigene Perspektive beschreibt, bezieht sich ein Argument auf die Perspektive des anderen. In der Wirtschaft kann eine Begründung die Unternehmensperspektive sein und ein Argument die Kundenperspektive. In Alltagssituationen werden die jeweils sehr unterschiedlichen Wirkungen von Begründungen und Argumenten deutlich.

Begründungen und Argumente [6]

Als Verantwortlicher in Ihrem Unternehmen wollen Sie die Lieferzeit verkürzen; Ihr Ziel ist die Zusage Ihres Lieferanten.
Ihre Begründung: „Wir möchten nicht so lange warten.“
Ihr Argument: „Wenn Sie schneller liefern, sind Sie gegenüber Ihren Wettbewer­bern im Vorteil.“

Sie wollen eine Gehaltserhöhung; Ihr Ziel ist die Unterstützung Ihrer Führungskraft.
Ihre Begründung: „Ich möchte eine größere Wohnung und ein neues Auto.“
Ihr Argument: „Das Unternehmen profitiert von meinen besseren Leistungen.“

Sie wollen Ihre Wohnung vorzeitig kündigen; Ihr Ziel ist das Einverständnis Ihres Vermieters.
Ihre Begründung: „Ich will zu meiner Schwester in eine andere Stadt ziehen.“
Ihr Argument: „Ich besorge Ihnen einen geeigneten Nachmieter.“

Sie wollen sich Geld leihen; Ihr Ziel ist ein Kredit von Ihrer Bank.
Ihre Begründung: „Ohne den Kredit bin ich pleite.“
Ihr Argument: „Mit dem Kredit machen Sie mich zum treuen Kunden.“

Begründungen und Argumente sind unterschiedlich nützlich für die Beteiligten. Begründungen beschreiben den Nutzen für den Argumentierenden, Argumente beschreiben den Nutzen für den anderen. Deshalb erreicht das Argumentieren meist eher das Ziel als das Begründen.

Ob ein angeführter Grund eine Begründung oder ein Argument ist, lässt sich oft schon am Personalpronomen erkennen.

Perspektiven

PerspektivenBegründungen werden eher in der ersten Person formuliert, Argumente eher in der zweiten Person:

Begründung: „Ich gehe gerne an die frische Luft.“

Argument: „Du gehst doch gerne an die frische Luft.“

Nun kann beim Argumentieren im Alltag die Konzentration auf die Grammatik schnell die Aufmerksamkeitsfähigkeit an ihre Grenze führen – zumal auch situative, körper­sprachliche, und nicht zuletzt logische und inhaltliche Aspekte zu berücksichtigen sind, sowohl für den Argumentierenden wie auch für seinen Gesprächspartner. Doch das schriftliche Argumentieren – in E-Mails, Briefen, SMS, beim Posten, Twittern und in ähnlichen Kommunikationsmedien – lässt Raum, auch auf die Formulierung zu achten, sowohl für den argumentierenden Sender wie auch für den Empfänger. In der schriftlichen Kommunikation sind Begründungen und Argumente besonders leicht an den Formulierungen zu erkennen.

Begründungen im Ich-Stil

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Argumente im Sie-Stil

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Begründungen sind aus der Sicht des Schreibers formuliert, Argumente aus der Sicht des Lesers.

Starke Argumente

Nicht nur haben Begründungen und Argumente unterschiedliche Wirkung, auch innerhalb der Kategorie Argumente gibt es gewichtige Unterschiede: Manche Argumente sind stärker als andere, nur: wirkungssicher sind auch sie nicht. Kein Argument kann todsicher überzeugen, weil die argumentative Wirkung auf den angewiesen ist, mit dem argumentiert wird. Auch das stärkste Argument kann den nicht überzeugen, der nicht zuhört, keine Argumente gelten lässt oder Argumente als Provokation empfindet. Wenn Emotionen, Prinzipien, Werte, Vorurteile, Zugehörigkeit zu Gruppierungen oder Ähnliches der steuernden Wirkung von Argumenten entgegenstehen, wird aus dem Argumentieren schnell ein Begründen.

Wenn auch manchmal vergeblich appelliert das Argumentieren an die Vernunft. Das Argumentieren setzt vernünftige Kommunikationspartner voraus. Wer argumentiert, respektiert den anderen als vernünftig. Und für die Vernunft gibt es Argumente, denen sie sich schwer verschließen kann: starke Argumente.

Argumente sind stark, wenn der andere sie als Wahrheit, als Tatsachen begreift.

Argumente sind stark, wenn sie den Erfahrungen des anderen entsprechen.

Argumente sind stark, wenn sie dem Denken des anderen entsprechen.

Argumente sind stark, wenn sie zu den Wertvorstellungen des anderen passen.

Argumente sind stark, wenn sie dem anderen logisch oder plausibel erscheinen.

Argumente sind stark, wenn der andere meint, sie seien allgemein anerkannt, weil mehrere Menschen ihnen zustimmen.

Argumente sind stark, wenn an sie zu glauben dem anderen sicherer erscheint, als es nicht zu tun.

Argumente sind stark, wenn sie dem anderen nützlich vorkommen.

Argumente sind stark, wenn der andere ihr Gegenteil ablehnt.

Argumente sind stark, wenn sie der andere sie als Beweise akzeptiert.

Weitere starke Argumente ließen sich finden, indem die Suche die Wirkung auf den anderen einbezieht; denn nicht der Argumentierende entscheidet über die Wirkung eines Arguments, sondern stets der andere. Der Argumentierende verantwortet die Wahl der Argumente, der andere verantwortet ihre Wirkung. Der Argumentierende kann jedoch das Gewicht, die mögliche Wirksamkeit seiner Argumente steigern.

Der Argumentierende kann seine Argumente mit anschaulichen Worten formulieren.
Beispiel: „Die Anschaulichkeit ist sozusagen das Salz in der Informationssuppe: Ohne sie hätte die Information denselben Nährwert, aber mit ihr ist sie schmackhafter.“ [7]

Der Argumentierende kann seine Argumente mit rhetorischen Mitteln darstellen.
Beispiel: „Es gab Kollateralschäden.“ statt „Auch Zivilisten wurden getötet.“ [8]

Der Argumentierende kann seine Argumente mit Vergleichen ergänzen.
Beispiel: „Geben Sie Informationen in wohldosierten Portionen nacheinander. Das ist wie beim Essen. Wir werfen die Speisen nicht in eine Schüssel und nehmen dann das Gemisch zu uns, sondern wir erfreuen uns an der Speisenfolge.“ [9]

Der Argumentierende kann seine Argumente mit aktuellen Ereignissen verbinden.
Beispiel: „Sprache verändert sich unaufhörlich. Wer hätte vor Angela Merkel schon von einer ‚Bundeskanzlerin‘ gesprochen?“

Der Argumentierende kann seine Argumente auf gemeinsame Erlebnisse beziehen.
Beispiel: „Wer schon einmal geflogen ist, weiß, was Massenabfertigung bedeutet.“

Der Argumentierende kann seine Argumente mit Referenzen versehen.
Beispiel: „Gentrifizierung ist eine Notwendigkeit. Schon Friedrich Nietzsche sagte: ‚Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten wie im Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen.‘ [10]

Der Argumentierende kann seine Argumente mit Visualisierungen anreichern.
Beispiel: „Als Trainer, Coach und Moderator
Lotsehandelt der Qualifizierer wie ein Lotse. Er unterstützt die Teilnehmer, sich in unbekannten Gewässern
professionell zu verhalten.“

Das Argumentieren ist nur eine Variante von Kommunikation und lässt sich nahezu beliebig mit anderen Varianten kombinieren, mit verbalen und nonverbalen, und variiert damit die Steuerung.

Argumentationsfelder

Damit Argumente ihre Wirkung entfalten können, müssen sie den richtigen Nerv des anderen treffen – wie der Same einer Pflanze, der nur in einer für ihn spezifisch besten Erde gedeiht. Das richtige Argumentationsfeld zu finden, ist vor allem dann nicht leicht, wenn der Argumentierende sein Gegenüber nicht gut kennt; oft muss er dann spekulieren, welche Aspekte für den anderen entscheidend sind oder er muss allgemein bleiben. Andererseits kann der Argumentierende das geeignete Argumen­tationsfeld leicht finden, wenn er den anderen gut kennt.

Argumentationsfelder sind Themenbereiche oder Zusammenhänge, die dem Gegen­über wichtig, Perspektiven, die für ihn entscheidend sind. Das kann ein theologi­sches, juristisches, medizinisches, moralisches oder polizeiliches Argumentationsfeld sein wie auch ein finanzielles, ästhetisches, steuerliches, politisches oder noch ein weiteres. Die Anzahl der denkbaren, möglicherweise passenden Argumenta­tionsfelder ist schier unendlich.

Hat der Argumentierende ein Argumentationsfeld gefunden, das für den anderen maßgeblich ist, kann er ihm weitere Argumente zu diesem Argumentationsfeld liefern; die Wirkung wird ähnlich sein. Argumentationsfelder können dem Argumen­tierenden die Wahl der Argumente erleichtern. Allerdings sind Argumentationsfelder keine Konstanten, ihre Attraktivität kann sich ändern, was zum Beispiel an älteren Texten leicht nachvollziehbar ist.

Argumentationsfelder [11]

Neue Errungenschaften der Technik stießen zuerst fast immer auf Ablehnung. So kann beispielsweise in der Kölnischen Zeitung vom 28. März 1819 nachgelesen werden, warum die Gas-Straßenbeleuchtung abzulehnen ist.

Theologische Gründe: Weil sie als Eingriff in die Ordnung Gottes erscheint. Nach dieser ist die Nacht zur Finsternis eingesetzt, die nur zu gewissen Zeiten vom Mondlicht unterbrochen wird. Dagegen dürfen wir uns nicht auflehnen, den Weltplan nicht hofmeistern, die Nacht nicht zum Tage verkehren wollen.

Juristische Gründe: Weil die Kosten dieser Beleuchtung durch eine indirekte Steuer aufgebracht werden sollen. Warum soll dieser und jener für eine Einrichtung zahlen, die ihm gleichgültig ist, da sie ihm keinen Nutzen bringt oder gar in manchen Verrichtungen stört.

Medizinische Gründe: Die Gasausdünstung wirkt nachteilig auf die Gesundheit schwachleibiger und zartnerviger Personen und gibt auch dadurch zu vielen Krankheiten den Stoff, weil sie den Leuten das nächtliche Verweilen auf den Straßen leichter macht und ihnen Schnupfen, Husten und Erkältungen auf den Hals zieht.

Moralische Gründe: Die Sittlichkeit wird durch die Gassenbeleuchtung verschlimmert. Die künstliche Helle verscheucht in den Gemütern das Grauen vor der Finsternis, das die Schwachen von mancher Sünde abhält. Die Helle macht den Trinker sicher, dass er in den Zechstuben bis in die Nacht hinein schwelgt und sie verkuppelt verliebte Paare.

Polizeiliche Gründe: Sie macht die Pferde scheu und die Diebe kühn.

Wie wichtig die Wahl des geeigneten Argumentationsfelds sein kann, zeigt sich etwa in Verkaufsgesprächen, in denen typischerweise argumentiert wird. Der Verkäufer muss die richtigen Argumentationsfelder ansprechen, damit der Kunde kauft. Denn nicht alle Aspekte eines Produkts oder einer Dienstleistung sind dem Kunden wichtig. Der Verkäufer muss herausfinden, wofür sich der Kunde interessiert, dann erst kann er die Argumentationsfelder wählen, die beim Kunden hohe Priorität genießen, und geeignete Argumente finden.

Kunden entscheiden sich aus recht unterschiedlichen Gründen für ein neues Pro­dukt, zum Beispiel für ein neues Auto. Sind für die einen familiäre oder ökonomische Gründe ausschlaggebend, zählen für andere vor allem Spaß oder Prestige. Dabei sind auch Kombinationen von Gründen möglich. Argumentierende Verkäufer erken­nen die priorisierten Argumentationsfelder ihrer Kunden und wählen die passenden Argumente.

Beim Autokauf [12]

Argumentationsfeld

Ästhetik

Familie

Image

Ökonomie

Spaß

Prestige

Sicherheit

Alltagsnutzen

 

Argumente

Form, Innenausstattung, Individualität

Platz, Kindersitze, 5 Türen

Statussymbol, Understatement

Verbrauch, Versicherung, Steuer

Leistung, Kabrio, Tempo

Marke, Preis, Zylinder

Airbags, Crashtests, Knautschzonen

Kofferraum, Wendekreis, Parkfläche

In der Praxis

Wenn Sie etwas bewegen wollen oder etwas verbessern oder wenn Sie sich gegen Gefahren wappnen wollen, wenn Sie ein Ziel haben, für dessen Verwirklichung Sie das Dazutun anderer brauchen, weil Sie es nicht allein bewerkstelligen wollen oder können oder weil die Wirkung sonst zu gering wäre, dann argumentieren Sie mit anderen, um sie für Ihre Ziele zu gewinnen. Sie geben Ihnen Gründe, sich Ihren Zielen anzuschließen, sich mit ihnen zu identifizieren. Sie nutzen die Mittel der kommunikativen Steuerung.

Nicht allein die Argumente, die Sie anführen und die auf die Argumentationsfelder Ihrer Argumentationspartner treffen sollen, haben ihre Wirkung, sondern auch die Art, wie Sie Ihre Argumente einbringen. Hier ein paar Tipps:

Bereiten Sie sich vor.
Sammeln Sie vorher Ihre Argumente. Fragen Sie sich frühzeitig: Was wollen Sie? Was wollen die anderen? Welche konkreten Vorschläge haben Sie?

Suchen Sie den Dialog.
Sprechen Sie nicht zu viel und nicht zu lange. Formulieren Sie Ihre Argumente prägnant. Stellen Sie Fragen und beantworten Sie Fragen.

Wechseln Sie die Perspektive.
Begründen Sie weniger und argumentieren Sie mehr. Sprechen Sie nicht nur von sich und Ihrer Sichtweise. Konzentrieren Sie auf das, was die anderen sagen und zeigen Sie Ihr Verständnis.

Dosieren Sie Ihre Argumente.
Bringen Sie nicht zu viele Argumente auf einmal und bringen Sie vor allem Ihre stärkeren Argumente peu à peu.

Formulieren Sie anschaulich.
Sprechen Sie nicht zu kompliziert und mit zu vielen Fachbegriffen. Verwenden Sie verständliche Worte. Zeigen Sie, was Sie meinen, mit Beispielen und Vergleichen.

Mit dem Argumentieren ist es wie mit allem im Leben: Wenn wir uns etwas vornehmen, wissen wir nicht, ob wir es erreichen; doch es lohnt sich, alles dafür zu tun.

Peter Hilbert

[1] Henry Johnstone. Some reflections on argumentation
[2] Ilse Schweinsberg-Reichart. Freie Rede
[3] Ilse Schweinsberg-Reichart. Freie Rede
[4] Henry Ford
[5] Thomas Malischewski, Frank Thiel. Beziehungsmanagement
[6] Mental Training Center
[7] Horst Schuh, Wolfgang Watzke. Erfolgreich reden und argumentieren
[8] Rhetorische Figur: Verhüllung – Euphemismus
[9] Harald Scherer. Wie Sie durch Ihr Sprechen gewinnen
[10] Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra
[11] Mitteilungen der IHK Frankfurt am Main
[12] Thomas Knaust