Wer zuhört, erfährt mehr

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Die Kunst, zu verstehen und verstanden zu werden

In ein Gespräch so schnell wie möglich seine eigenen Vorstellungen und Gedanken einzubringen, mag erfolgreich sein, weil es gelingt, etwas zu sagen, doch solcher Erfolg garantiert bei Weitem nicht, die Gesprächspartner bewegt zu haben, dem Gesagten zu folgen. Wer möchte, dass sich andere für seine Ideen interessieren, zeigt zunächst sein Interesse an den Ideen der anderen. Wer möchte, dass andere ihm zuhören, hört zunächst den anderen zu. Wer möchte, dass seine Worte wertgeschätzt werden, zeigt zunächst seine Wertschätzung für die Worte seiner Gesprächspartner.

Teilnehmer eines Gesprächs, die lieber sich selbst hören wollen, anstatt anderen in der Gesprächsrunde aufmerksam zuzuhören, verpassen die Chance, Neues zu er­fahren, Bekanntes aus bisher unbekannter Perspektive zu betrachten, Sachverhalte gemeinsam zu klären, sich zu bilden, ihr Wissen zu erweitern und vieles mehr. Nicht allen ist bewusst, dass und welche Fehler ihnen beim Sprechen und Zuhören unterlaufen.

Fehler beim Sprechen

  • Sich nicht oder nur pro forma auf das zuvor Gesagte beziehen
  • Vor dem Sprechen die Gedanken nur unzureichend ordnen
  • Zu viele Gedanken in einen Gesprächsbeitrag packen
  • Zusammenhänge zu wenig verbinden
  • Sich unpräzise ausdrücken
  • Zu schnell sprechen
Fehler beim Zuhören

  • Keine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken
  • Antworten bereits zurechtlegen, während jemand anderes spricht
  • Gehörte Gedanken vergessen oder hinzudichten
  • Zusammenhänge von Aussagen verdrehen
  • Gehörtes einseitig interpretieren
  • Sich ablenken lassen

Aktives Zuhören

Zuhören 1Das Zuhören ist kein passiver Vorgang, sondern eine Aktivität, die den Sprecher veranlasst, Zuhörern möglichst viele Informationen zu geben und dabei seinem Sprechbedürfnis zu genügen, damit er anschließend die Rolle wechselt und zum aufmerksamen Zuhörer wird. Beim aktiven Zuhören sieht, hört und empfindet der Sprecher das Zuhören seines Gesprächs­partners. Aktive Zuhörer schweigen nicht nur, sondern sie äußern sich gezielt und unterstützend. Sie suchen beim Zuhören Interessantes und entdecken Anregungen für sich. Sie bewerten den Inhalt, nicht den Sprecher oder die Sprechweise.

Reden ist ein Bedürfnis, zuhören eine Kunst.[1]
  • Aktive Zuhörer zeigen ihre Aufmerksamkeit.
    Ihr Blick ruht auf der Person, die spricht, sie haben Blickkontakt. Ihre Mimik signalisiert freundliche Aufnahmebereitschaft für das Gesagte. Ihre Körperhaltung ist offen und zum Sprecher gewendet. Sie zeigen mit wenig Gestik, dass sie verstehen, manchmal reicht ein leichtes Kopfnicken.
  • Aktive Zuhörer stellen Fragen zum Thema des Sprechers.
    An geeigneten Stellen fragen sie – um zu klären, um sich das Gesagte besser vorstellen zu können, um zu präzisieren – zum Beispiel so:
    „Was meinen Sie damit?“
    „Können Sie mir ein Beispiel nennen?“
    „Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?“
    „Was ist der Unterschied zwischen den beiden?“
    Dadurch unterbrechen sie nicht, sondern verhelfen zu mehr Genauigkeit. Denn ihre Fragen führen nicht weg von der Argumentation des Sprechers, sondern zu ihr hin. So steigern sie die Effizienz des Gesprächs.
  • Aktive Zuhörer fassen zusammen, was sie verstanden haben.
    Sie beschreiben mit ihren Worten, was sie aufgenommen haben. Dabei konzentrierten sie sich auf das Wesentliche. Sie verfälschen nicht, sondern bleiben bei der Perspektive des Gehörten. Sie stimmen zu oder äußern sich neutral:
    Durch das Wiederholen von Teilaussagen
    Durch das sinngemäße Umschreiben des Verstandenen
    Durch das Nennen der wichtigsten Informationen
    Das Zusammenfassen des Gehörten gestaltet die Gesprächsatmosphäre positiv und erleichtert die Verständigung. Am Ende des Gesprächs sagen sie, welche Ergebnisse sie sehen. Sie benennen die Aspekte, mit denen sie übereinstimmen, und sie vermitteln, was sie nicht akzeptieren oder was noch zu klären ist. Gibt es Vereinbarungen, dann klären sie, wer bis zu welchem Termin dafür verantwortlich ist. Denn Gespräche haben erst dann ein klares Ergebnis, wenn alle Beteiligte das Resultat bestätigen.
  • Aktive Zuhörer notieren alles Wesentliche.
    Sie notieren alle wichtigen Informationen, um zu demonstrieren, dass sie das Gehörte als wesentlich einstufen und um sich später darauf beziehen zu können. Stichworte genügen ihnen. Ihre Notizen helfen, präzise zu antworten, gemeinsam zu klären und bei Bedarf angemessen zu protokollieren.

Aktive Zuhörer vermeiden, sich zu früh ihre Antwort zurechtzulegen und mit ihren Gedanken abzuschweifen. Sie unterbrechen ihre Gesprächspartner nicht und haben keine Angst vor einem verbalen Angriff.

Verstehen

VerstehenZuhören ist nicht allein durch das den Sprecher unterstützende Handeln des Hörers eine Aktivität, sondern auch durch das mentale Verarbeiten des Zuhörers beim Verstehen: Während der Sprecher seine Gedanken ausspricht, nimmt der Hörer fast zeitgleich das Gesprochene akustisch wahr und integriert das Gehörte rapide in seine Gedanken. Dabei verläuft das Verstehen der Informationen nicht in einem einzigen Schritt, sondern in mehreren Stufen.

Vereinfacht dargestellt, überträgt der Sprecher seine digital gespeicherten Gedanken in den Sprechfluss der gesprochenen Sprache. Der Hörer nimmt aus dem kontinuierlichen Sprechfluss digital einzelne Informationen auf und integriert sie in sein eigenes gedankliches System:

  1. Der Sprecher denkt an etwas. Er stellt sich aus seinem Wissen die Informationen zusammen, die er mitteilen will. Zum Beispiel: 1 – 2 – 3 – 4.
  2. Der Sprecher spricht. Er transformiert die digitalen Informationen in seinen analogen Sprechfluss und ergänzt sie mit grammatischen Notwendigkeiten:
    „Eins und zwei und drei und vier“.
  3. Der Hörer nimmt den analogen Sprechfluss wahr: „Eins und zwei und drei und vier“.
  4. Der Hörer nimmt die Informationen auf, indem er aus dem Analogen bewusst die digitalen Informationen extrahiert: ‚eins‘, ‚zwei‘, ‚drei‘, ‚vier‘.
  5. Der Hörer versteht die Informationen. Er vergleicht sie mit anderen Informationen seines Wissens und ordnet sie ihnen plausibel zu: 1 – 2 – 3 – 4.
  6. Der Hörer bewertet die neuen Informationen. Er entscheidet, ob er sie speichern will oder nicht: 1, 2, 4.
  7. Der Hörer speichert die neuen Informationen: 1, 2, 4.

Wenn der Hörer einen Teil der Inhalte nicht versteht, bleibt ihm leicht die gesamte Mitteilung unverständlich oder er interpretiert hinein, was ihm einleuchtend erscheint.

Fühlen 1Im fünften Schritt des Modells interpretiert der Hörer das Wahrgenommene. Seine Interpretation ist notwendig, damit er die Informationen für sich richtig einordnen kann. Seine Interpretation kann richtig oder falsch sein. Immerhin hat er die Möglichkeit, durch Verständnisfragen seine Interpretation zu überprüfen.

Im sechsten Schritt des Modells kommen Emotionen ins Spiel: Der Zuhörer bewertet das Wahrgenommene, wozu nicht allein der Inhalt gehört, sondern meist ebenso die Darbietung des Sprechers, Vorurteile aufgrund Erfahrungen mit dieser Person oder sich ähnlich verhaltenden Sprechern oder mit ähnlichen Themen und andere meist unbewusste Verbindungen. Mit der Wahrnehmung stellt sich beim Hörer ein Gefühl ein, beeinflusst auch durch seine eigenen psychischen Bedingungen und durch seine aktuelle Stimmung.

In der Praxis laufen die Vorgänge des Verstehens so schnell ab, dass sie miteinander verschmelzen.

Gute Zuhörer

Jeder kann sich zu einem guten Zuhörer machen, wenn er will; mit ein wenig Kon­zentration und Geduld klappt das schon.

Wer ein gutes Gehör hat, ist noch längst kein guter Zuhörer.

Gute Zuhörer hören mit Optimismus zu, egal, was ihnen gesagt wird. Dabei beurteilen sie den Inhalt von Äußerungen und nicht den Sprecher oder seine Darbietung, denn sie reflektieren das Gehörte, bewerten und ordnen es überlegt. Sie ziehen keine voreiligen Schlussfolgerungen, sondern vertrauen ihrem Gesprächs­partner, dass er meint, was er sagt, und akzeptieren das Gehörte als seine Meinung. Sie signalisieren dem Sprecher, dass sie noch mehr von ihm hören wollen.

Gott uns nur einen Mund, aber zwei Ohren,
damit wir doppelt so viel zuhören als wir reden sollten.[2]

Effekte des Zuhörens

Effekte 0Aus der Sicht des Sprechers kann das Zuhören sehr verschiedene Ergebnisse haben. Er prüft, ob die Wirkung seiner Worte seinen Absichten und Erwartungen entsprechen. Die Zuhörer nehmen seine Äußerungen mit unterschiedlicher Effektivität auf, sie verarbeiten sie gedanklich in individuellen Abstufungen:

  1. Der Zuhörer kann die Inhalte nachvollziehen.
    Er ist den erhaltenen Informationen gefolgt, ohne sie verstanden zu haben. Er hat einfach nur aufmerksam zugehört.
  1. Der Zuhörer versteht die Inhalte.
    Er begreift die erhaltenen Informationen, ohne damit einverstanden zu sein.
  1. Der Zuhörer toleriert die Inhalte.
    Er lässt die erhaltenen Informationen gelten, weil er sie zwar für den Sprecher für relevant hält, nicht aber für sich.
  1. Der Zuhörer akzeptiert die Inhalte.
    Er pflichtet den erhaltenen Informationen bei, weil er sie für sein eigenes Werte­system als richtig ansieht. Akzeptierte Informationen vertritt er auch anderen gegenüber.
  1. Der Zuhörer internalisiert die Inhalte.
    Er macht sich die erhaltenen Informationen zu eigen, nimmt sie also in sein Wertesystem auf und handelt entsprechend.
  • Will der Sprecher Zuhörer nur informieren, reicht ihm, wenn sie verstehen, was er sagt.
  • Will der Sprecher Zuhörer zu einer Bewertungsänderung anregen, braucht er die Akzeptanz für das, was er sagt.
  • Will der Sprecher Zuhörer zu nachhaltig geändertem Verhalten bewegen, braucht er deren Internalisierung.

Paraphrasieren

Damit Gespräche nicht unter Missverständnissen leiden, weil die Bedeutung des Gesagten falsch interpretiert wird, wiederholen Zuhörer den Inhalt der Aussage des Sprechers in ihren Worten, sie paraphrasieren das Gehörte. Mit ihrem umschreibenden und verdeutlichenden Zuhören engagieren sie sich für die gemeinsame Kommunikation, gestalten die Gesprächsatmosphäre positiv und erleichtert dem Sprecher sowie sich selbst die Verständigung.

Wenn sie paraphrasieren, können Zuhörer ermitteln, ob sie die Aussagen des Sprechers richtig verstanden haben, denn sie beschreiben ihm, was sie gehört und was sie meinen, verstanden zu haben. Der Sprecher kann dann entscheiden, ob er sich verstanden sieht oder nicht.

Paraphrasieren 1Beim Paraphrasieren ist für die Zuhörer wichtiger, was der Sprecher ihnen vermitteln will, als was sie meinen, gehört zu haben. Für den Sprecher ist dabei wichtiger, was die Zuhörer aufgenommen haben, als was er vermitteln wollte. Das Paraphrasieren hilft also, eine Aussage vollständig zu verstehen: ihren Inhalt, ihre Intention und ihre emotionale Bedeutung für den Sprecher.

Die Zuhörer können auf sehr verschiedene Weise dem Sprecher mitteilen, dass sie zugehört und was sie verstanden haben. Sie können beim Paraphrasieren den Akzent auf Teilaspekte legen, die ihnen wichtig sind oder von denen sie meinen, sie sind dem Sprecher wichtig. Und der Sprecher kann ihnen dann vermitteln, ob der gewählte Akzent eines Zuhörers mit dem von ihm Gemeinten übereinstimmt.

Zuhörer können sinngemäß umschreiben, indem sie mit Aussagesätzen schildern, was Sie verstanden haben, und etwa so beginnen:

o  „Sie meinen, dass …“
o  „Sie legen also besonderen Wert auf …“
o  „Das Besondere an Ihrem Vorschlag ist demnach …“
o  „Ich habe den Eindruck, dass …“
o  „Ich habe Sie so verstanden: …“

Oder indem sie mit Fragen skizzieren, was Sie erfasst haben:

o  „Glauben Sie, dass …?“
o  „Meinen Sie, dass …?“
o  „Ist es richtig, dass …?“

Zuhörer können wörtlich wiederholen, indem sie einzelne Worte oder Teilaus­sagen des gerade Gehörten zitieren, zum Beispiel:

o  „Ästhetisch …“
o  „Als verbale Inkontinenz?“
o  „Umprogrammiert.“

Das wörtliche Wiederholen veranlasst den Sprecher gerne, das Wiederholte noch einmal und mit anderen Worten zu erläutern.

Zuhörer können Wichtiges zusammenfassen, indem sie kompakt das ihnen beim Zuhören als wesentlich Erscheinende in Worte fassen oder mehrere zusammen­hängende Gedanken zu einer Aussage verschmelzen. Dabei verzichten sie auf unnötige Details, auf Wertungen und Ausschmückungen. Sprachlich bleiben sie knapp, präzise, sachlich, informativ und neutral – etwa wie im folgenden Beispiel:

Sprecher:

„Das Erste, was passiert ist, war eine grundlegende Verfahrensänderung, die niemand hätte voraussagen können. Dann kündigte einer unserer besten Techniker. Dann wurde der Abgabe­termin vorgezogen. Es kam eins zum anderen.“

Zuhörer-Zusammenfassung:

„Es hat also eine Menge Probleme gegeben, die das Projekt noch komplizierter gemacht haben.“

Zuhörer können Inhalte kommentieren,
indem sie mit einer knappen Bemerkung dem Sprecher mitteilen, wie seine Darlegungen bei ihnen angekommen sind – sinnvoll vor allem, wenn ein Sprecher mit ausgeprägtem Mitteilungsbedürfnis recht viel berichtet. Ein Beispiel:

Sprecher:

„Während Sie weg waren, war jede Menge los. Frau Arens hat ihr Auto demoliert und musste ein paar Tage freinehmen. Frau Berens hatte Grippe und Herr Porens hat sich das Fuß­gelenk verstaucht. Wir mussten eine Aushilfskraft einstellen und die hat es tatsächlich geschafft, die Festplatte zu löschen. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind.“

Zuhörer-Kommentar:

„Da ist ja einiges passiert!“

Zuhörer können Aussagen interpretieren, indem sie dem Sprecher erkennbar ihre eigene Meinung zu seinen Aussagen nennen und ihm so ihr Verständnis zeigen – etwa so:

Sprecher:

„Bei dem neuen Konzept habe ich so meine Bedenken. Tja, wenn Sie wüssten, was meine Mitarbeiter dazu sagen.“

Zuhörer-Interpretation:

„Ich nehme an, Sie haben noch Zweifel, Ihre Mitarbeiter könnten das Konzept ablehnen und Ihnen bei der Umsetzung Ärger bereiten. Sehe ich das richtig?“

Zuhörer können Gefühle reflektieren, indem sie ihre Empathie erkennen lassen, vor allem wenn sie den Eindruck haben, der Sprecher sei aufgeregt oder fühle sich verletzt oder sonst wie emotional aufgewühlt – zum Beispiel:

Sprecher:

„Ich habe es satt! Wie soll ich die Abteilung richtig führen, wenn es in der Planung nur so von Ungenauigkeiten wimmelt. Ich verbringe meine ganze Zeit damit, ständig Fehler auszubügeln, anstatt meine eigene Arbeit zu machen.“

Zuhörer-Mitgefühl:

„Das ist ärgerlich.“

Zuhörer können die Situation spiegeln, indem sie beschreiben, wie sie den gehör­ten Sachverhalt aus der Perspektive des Sprechers sehen würden – zum Beispiel so:

Sprecher:

„Ich weiß nicht, für welche Richtung ich mich entscheiden soll. Es gibt für jede Alternative ein Für und Wider. Und eine falsche Entscheidung könnte gravie­rende Auswirkungen haben.“

Zuhörer-Spiegelung:

„An Ihrer Stelle würde ich auch zögern, irgendeine Entscheidung zu treffen, bevor die Konsequenzen klar sind.“

Da Sprecher selten das Paraphrasieren einfordern, entscheiden die Zuhörer, ob und wann sie paraphrasieren und welche Variante sie wählen. Zuhörer paraphrasieren, wenn sie befürchten, wesentliche Inhalte gingen sonst verloren, oder wenn sie bestä­tigt haben wollen, was sie verstanden haben, oder auch wenn sie Gesprächspartner anregen wollen, weiter zu sprechen. Dem Sprecher zeigt das Paraphrasieren, dass ihm aufmerksam zugehört wird, und er erhält Gelegenheit, Missverständnisse sofort zu klären.

Ohne das Paraphrasieren wird das Zuhören schnell zum Pseudo-Zuhören: wenn dem Sprecher wird nicht wirklich zugehört, sondern das Zuhören nur simuliert wird. Pseudo-Zuhörer versuchen so schnell und so oft wie möglich, das Wort zu ergreifen, um von sich und den eigenen Meinungen zu sprechen. Beliebter Auftakt, um sich selbst in das Gespräch einzubringen, ist die Formulierung „Ich verstehe“. Ein Beispiel:

Jemand sagt mit besorgter Miene und entsprechendem Tonfall zu einem Freund und ehemaligen Arbeitskollegen: „Hoffentlich schaffen wir unseren Beitrag bis Freitag. Sonst können wir den Gesamtauftrag nicht fristgerecht erle­digen. Schließlich kommt der Auftrag von einem äußerst wichtigen Neukunden.“ Der Pseudo-Zuhörer antwortet: „Ich verstehe, aber solche Probleme habe ich in meiner neuen Firma nicht. Ich habe zuverlässige und teamerfahrene Kollegen. Mit ihnen arbeite ich hervorragend zusammen. Mein jetziges Projekt …“

Unterbrechen

Den Tugenden des aktiven Zuhörens und des Paraphrasierens steht die Untugend des Unterbrechens gegenüber. Wer unterbricht, hat vielleicht zugehört, doch im Augenblick des Unterbrechens hört er gewiss nicht zu, da er ja gedanklich sortiert, was er sagen will. Zumeist unterliegt der Unterbrecher dem Irrtum, andere würden nach seiner, gelinde ausgedrückt, Unhöflichkeit, ihm zuhören.

Der Gesprächspartner, der unterbrochen wurde, hört zumindest den ersten Worten gewiss nicht zu, da er noch an seinem Gedanken hängt, der unterbrochen wurde. Auch die anderen Gesprächsteilnehmer sind zunächst beschäftigt: Sie verarbeiten noch den Gedanken, der unterbrochen wurde, und sie müssen entscheiden, wie sie mit dem Unterbrechen umgehen, und sie brauchen Zeit, um sich auf die Äußerungen des Unterbrechers einzulassen.

Zu unterbrechen ist zwar selten eine kommunikationsfördernde Idee, doch es gibt ein paar Situationen, die das Unterbrechen sanktionieren:

Wenn jemand offenkundig die Unwahrheit sagt, unterbrechen Zuhörer zu Recht. Dann allerdings sind sie gefordert nachzuweisen, was in ihren Augen die Wahrheit ist.

Wenn ein Zuhörer sich verbal angegriffen fühlt, braucht er nicht zu warten, bis der Aggressor seine Polemik oder Tirade genüsslich zu Ende geführt hat. Allerdings sollte er sich fragen, ob nicht das Übergehen der Attacke nicht die souveränere Reaktion wäre.

Wenn ein Sprecher despektierlich über nicht anwesende Personen herzieht, kann es moralisch geboten sein, ihn davon abzuhalten. Humanistischer Respekt und soziale Fairness werden einen Zuhörer veranlassen zu unterbrechen.

Wenn ein Gesprächsteilnehmer deutlich vom vereinbarten Thema abweicht, brauchen die anderen der Abschweifung nicht zu folgen. Sie dürfen unterbrechen, sofern ein Zurückkommen zum Thema, wie etwa bei einem Exkurs, nicht erkennbar ist.

Wenn jemand nicht mehr aufhören will zu sprechen, müssen seine Zuhörer nicht ad infinitum Geduld bewahren, sondern entziehen ihm höflich, aber bestimmt das Wort. Denn der Sinn eines Gesprächs ist der dialogische Gedankenaustausch und nicht das Ertragen unverhältnismäßig langer Monologe.

Sofern Zuhörer die Entscheidung zu unterbrechen nicht spontan, sondern reflektiert treffen und situationsangemessene Kommunikationsform wählen, kann der Sprecher die Unterbrechung akzeptieren, freuen muss er sich nicht darüber.

 

Eine sehr dezente Unterbrechung gelingt vielleicht schon mit dem demonstrativen Heben einer Hand.

Eine wirkungsvolle Unterbrechung kann schon mit einem einsilbigen Wort gelingen, ausgesprochen mit einem Lächeln, wie „Stopp!“, „Halt!“ oder „Nein!“. Daran anschließen kann sich eine Begründung.

Eher aggressiv und überheblich wirkt das Unterbrechen mit einer Frage wie „Was genau wollen Sie damit eigentlich sagen?“

In einem intellektuell angelegten Gespräch kann die Unterbrechung im Modus expliziter Metakommunikation situationsadäquat sein, zum Beispiel so: „Mein lieber Herr Pörens, den Redeanteil, den Sie beanspruchen, empfinde ich für einen echten Dialog als ungünstig. Mir wäre an einem lebendigen Hin und Her gelegen. Wie denken Sie darüber?“[3]

Eher sachlich wird eine Unterbrechung, wenn sie klar benennt, was sie beab­sichtigt, zum Beispiel „Darf ich einmal stoppen? Ich möchte kurz erklären, was ich bisher verstanden habe und würde gerne gleich mal sagen, was ich dazu denke – einverstanden?“ [4]

Konzentriertes Zuhören lässt sich trainieren – jeden Tag, in jedem Gespräch – und ist eine Voraussetzung für gelingende Kommunikation. Wer zuhört, kann anschlie­ßend seine Gedanken und Worte besser auf seine Gesprächspartner einstellen, und seine Gesprächspartner hören auch ihm zu.

Peter Hilbert

Quellen

[1] Johann Wolfgang von Goethe
[2] Johann Wolfgang von Goethe
[3] Bernhard Pörsken, Friedemann Schulz von Thun. Kommunikation als Lebenskunst
[4] Bernhard Pörsken, Friedemann Schulz von Thun. Kommunikation als Lebenskunst