Mit Selbstvertrauen Verantwortung übernehmen
Wer gar nichts tut, dem ist langweilig, wenigstens auf Dauer. Damit jemand etwas tut, braucht er neben anderem einen Sinn für sein Tun. Aktiv zu sein muss einen Sinn haben. Die Aktivität soll zu einem besseren Zustand führen oder sie soll nur beitragen, als negativ Empfundenes zu vermeiden oder zumindest zu minimieren[1].
Eine weitere Bedingung für Aktivität ist Motivation: die Bereitschaft zu handeln, das Streben nach Wünscheswertem, der Wille Situationen zu beeinflussen. Der Motivation liegen Motive zugrunde, also die vielfältigen Beweggründe, die für Außenstehende – oft genug auch für die handelnde Person – nur schwer erkennbar sind.
Und Aktivität braucht Optimismus, das Vertrauen, dass die Aktivität zum Erfüllen des Sinns führt. Aktiv wird, wer in seinem Handeln einen Sinn erkennt und das Selbstvertrauen hat, mit seinem Handeln etwas selbst Beabsichtigtes zu bewirken. Aktiv wird, wer das Selbstvertrauen hat, eine Situation beeinflussen zu können, und in der Beeinflussung der Situation einen Sinn sieht.
Motivation führt nur gemeinsam mit Selbstvertrauen und Sinn zum Handeln. Der Sinn stiftet die Metaposition und gibt damit die Wahlmöglichkeit für das eigene Handeln, das Selbstvertrauen gibt die Möglichkeit für die Modalität des eigenen Handelns und die Motivation stellt für das eigene Handeln die Disposition bereit. Der Dreiklang aus Motivation, Selbstvertrauen und Sinn vermittelt die Annahme, eine Situation beeinflussen, sie kontrollieren zu können.
Kontrolle ist die Überzeugung oder das Bestreben, erwünschte Zustände herbeiführen und unerwünschte Zustände vermeiden oder reduzieren zu können. [2] |
Erst das Bestreben, etwas in selbstbestimmter Weise zu tun, führt zu Aktivität. Fehlt der Sinn oder fehlt die Kontrolle, dann führt auch die stärkste Motivation nicht dazu, aktiv zu werden.
Ratten, die die Erfahrung gemacht hatten, dass sie aus einem Wasserbassin entkommen konnten, schwammen bis zu 60 Stunden, um nicht zu ertrinken.
Ratten, die nicht die Erfahrung gemacht hatten, entkommen zu können, gaben schon nach kurzen, turbulenten Versuchen auf, einen Ausweg zu finden. [3] |
Die Erfahrung, negative Zustände nicht kontrollieren zu können, keinen Sinn im eigenen Handeln zu sehen und kein Selbstvertrauen zu haben, eine Situation wie gewünscht zu beeinflussen, führt selbst bei hoher Motivation zu dramatisch geringerer Aktivität. Und umgekehrt: Selbstvertrauen und Sinn verstärken die Handlungsbereitschaft entsprechend. Aktiv wird, wer meint, mit seiner Aktivität eine Situation in seinem Sinn beeinflussen zu können, wer mit Selbstvertrauen annimmt, er könne die Situation kontrollieren.
Kontrollierbarkeit
Kontrollierbarkeit ist eine subjektive Wahrnehmung der realen Situation, verbunden mit der Annahme, eine Situation sei durch das eigene Handeln zu beeinflussen. Sie ist eine Prognose und schon deshalb nicht sicher. Für die Beurteilung, ob eine Situation kontrollierbar ist oder nicht, ist weniger die Realität entscheidend als vielmehr der Beurteiler der Situation. Der Beurteiler schätzt die Situation als kontrollierbar oder nicht kontrollierbar ein, indem er sie mit ähnlichen Situationen vergleicht und schlussfolgert, ob seine Handlungsmöglichkeiten für eine Beeinflussung ausreichen. Je mehr Selbstvertrauen jemand hat, umso eher scheinen ihm Situationen kontrollierbar zu sein. Je stärker seine Motivation ist, umso eher wird er die Situation als kontrollierbar einstufen. Gleichwohl bleibt die Einschätzung subjektiv, wenn auch nicht unbehelligt von der Realität.
Zwei Menschen sehen denselben Hund – doch sie reagieren ganz unterschiedlich auf ihn. Der eine liebt Hunde und freut sich über den Anblick des Hundes, während der andere Angst bekommt, weil er schon einmal von einem Hund gebissen wurde.
Nicht der Hund verursacht die Angst, sondern die Weise, wie der Hund wahrgenommen wird. [4] |
Über die subjektive Wahrnehmung entscheidet die eigene Einschätzung. Was für den einen kontrollierbar scheint, kommt einem anderen unkontrollierbar vor. In einer anderen Situation mögen die subjektiven Wahrnehmungen gegensätzlich ausfallen. Frühere Erfahrungen mit dem Ausüben oder dem Verlust von Kontrolle beeinflussen die Vorstellung, eine Situation kontrollieren zu können oder nicht.
Die subjektive Wahrnehmung der Kontrollierbarkeit fördert oder hemmt das Handeln:
Die Einschätzung, eine Situation kontrollieren zu können, schafft Wohlbefinden beziehungsweise reduziert oder vermeidet Stress, der durch unerwünschte Zustände erzeugt wurde. Ein Gefühl der Macht entsteht. Die Macht muss nicht ausgelebt werden, oft reicht die subjektive Wahrnehmung, Macht ausüben zu können, damit sich Wohlbefinden einstellt.
Die Wahrnehmung, nicht kontrollieren zu können, beeinträchtigt das Handeln. Ein Gefühl der Ohnmacht entsteht. Sich ohnmächtig fühlen lähmt das Handeln. Das reduzierte Selbstvertrauen reicht nicht mehr aus, in vielleicht sonst gewohnter Weise aktiv zu sein. Die eigenen Anstrengungen, um Einfluss zu nehmen, erscheinen sinnlos.
Für die Auswirkungen der subjektiven Wahrnehmung der Kontrollierbarkeit ist unerheblich, ob die Wahrnehmung der Realität entspricht oder nicht, ob die Kontrolle tatsächlich, scheinbar ausgeübt wird oder potenziell ausgeübt werden könnte.
„Möglich ist, jemand hat tatsächlich die Kontrolle über eine Situation, doch möglich ist auch, er hat die Kontrolle nur scheinbar. Und falls er die Kontrolle nicht ausübt, ist sie zwar potenziell vorhanden, doch bleibt offen, ob er sie tatsächlich oder nur scheinbar hat. |
Tatsächliche Kontrolle heißt: Objektiv vorhandene Kontrolle wird aktiv ausgeübt und erlebt. Eine Situation wird beeinflusst.
Zum Beispiel können positive Ereignisse herbeigeführt werden, etwa wenn jemand die Änderung eines Arbeitsprozesses vorschlägt und aufgrund der Realisierung seines Vorschlags der Prozess effizienter wird.
Zum Beispiel können negative Ereignisse abgemildert oder verhindert werden, etwa wenn jemand den Wunsch eines anderen ablehnt, der zu unnötigen Doppelarbeiten geführt hätte.
Scheinbare Kontrolle ist eine Illusion: Sie wird empfunden als Überzeugung, Beeinflussung wäre möglich. Die eigene Einflussmöglichkeiten werden überschätzt und dennoch tritt eine Wirkung ein.
Zum Beispiel können Stresssymptome reduziert werden, etwa wenn jemand meint, durch seine unbezahlte Zusatzarbeit allein würde seine Karriere beschleunigt.
Zum Beispiel wenn jemand meint, seine Berichte würden Entscheidungen anderer beeinflussen, und nicht weiß, dass sie nicht gelesen werden.
Selbst wenn keine tatsächliche Kontrolle besteht, reicht die Überzeugung, im Besitz von Kontrolle zu sein, aus, um aktiv zu werden.
Patienten zeigten nach Operationen weniger Stress, wenn sie zuvor zu beruhigenden Selbstgesprächen aufgefordert worden waren.
Frauen, die glaubten, Brustkrebs kontrollieren zu können, bewältigten die Krankheit besser; sie hielten sich kürzer in Kliniken auf. |
Potenzielle Kontrolle heißt: Die – tatsächliche oder scheinbare – Kontrolle wird nicht ausgeübt. Obwohl sie zu keiner situationsrelevanten Handlung führt, hat die potenzielle Kontrolle dennoch Wirkung:
Zum Beispiel steigt die Bereitschaft, unerwünschte Zustände zu ertragen, etwa wenn jemand in einer ihm langweiligen Besprechung bleibt, obwohl er weiß, er könnte Sinnvolleres tun.
Zum Beispiel kann das Beibehalten der Vorstellung, eine Situation kontrollieren zu können, das Wohlbefinden erhalten, etwa wenn jemand glaubt, er könne die für sich negative Entscheidung eines anderen revidieren, wenn er mit ihm spräche, doch das Gespräch nicht sucht.
Die subjektive Wahrnehmung der Kontrollierbarkeit von Situationen beeinflusst das konkrete Handeln, unabhängig davon, ob Kontrolle tatsächlich, scheinbar oder potenziell vorhanden ist.
Die wahrnehmende Person beschließt, ob und wie sie handelt. Sie trägt die Verantwortung, sofern sie eine Vorstellung hat von den Konsequenzen ihrer Aktivität oder Passivität in der konkreten Situation. Sie schätzt die Situation ein und sie schätzt ihre Möglichkeiten ein. Auch wenn sie vielleicht nicht die Verantwortung hat für die Situation, in der sie sich befindet, die Verantwortung für ihre Handlungen hat niemand anderes als die Person selbst – auch wenn ihr vielleicht ihre Verantwortung nicht bewusst sein sollte.
Kontrollmöglichkeiten
Einem unerwünschten Zustand ausweichen Einen unerwünschten Zustand verhindern Die Dauer von Unerwünschtem verkürzen Die Intensität von Unerwünschtem verringern Eine Reihenfolge verändern Einen Zeitpunkt gestalten Einen unvermeidbaren unerwünschten Zustand selbst auslösen |
Handlungsbeispiele
Einen Raum Eine Zustimmung Ein Gespräch Ein Fahrzeug Eine Agenda umstellen Einen Termin verschieben Kritik einfordern |
Die Möglichkeiten zu kontrollieren geben Verantwortung und Handlungsfreiheit – den einen zur Freude, den anderen zur Last. Freiheit bedeutet ja nicht nur die Abwesenheit möglicher Restriktionen, sondern eben auch Verantwortung für das eigene Handeln – für den einen ein erwünschter Zustand, für den anderen ein unerwünschter. Ob Kontrollierbarkeit als positiv oder als negativ empfunden wird, ist unabhängig davon, ob sie tatsächlich vorhanden ist oder nur scheinbar oder potenziell.
Kontrollierbarkeit kann einerseits positive Effekte haben – zum Beispiel weniger Ängstlichkeit beim Erledigen von Aufgaben, Erleichterung beim Lernen oder auch Abmilderung depressiver Symptome, das Gefühl von Stärke und Selbstvertrauen –, sie kann anderseits auch negative Effekte haben – zum Beispiel wenn Kontrollhandlungen subjektiv sehr umfassend, sehr anstrengend oder sehr schwierig auszuführen sind.
Kontrollstrategien
Die tatsächliche Kontrolle einer Situation braucht keine Strategie für die Kontrollierbarkeit, die Kontrolle wird schlicht ausgeführt. Für die scheinbare und zur potenziellen Kontrolle jedoch werden Kontrollstrategien eingesetzt, um die Realität subjektiv anzupassen, um das Handeln als Kontrolle wahrzunehmen.
Kontrollstrategien erlauben, sich mit Misserfolgen und Fehlschlägen zu arrangieren. Sie können vor, während oder nach Ereignissen wirksam werden. Zum Beispiel steigt die Bereitschaft, Lärm zu ertragen, wenn geglaubt wird, der Lärm sei durch eine Handlung abzustellen, sei also kontrollierbar.
Drei Gruppen Versuchspersonen sollen 25 Minuten lang verschiedene Probleme lösen – zum Beispiel komplexe Additionsaufgaben. Zwei Gruppen hören dabei laute Geräusche: das Geklapper von Schreibmaschinen, das Unterhalten von zwei Spanisch Sprechenden.
Die erste Gruppe kann das Geräusch nicht abstellen. Die zweite Gruppe könnte das Geräusch durch Knopfdruck abstellen, doch das Abstellen ist unerwünscht und niemand aus der Gruppe betätigt den Knopf. Die dritte Gruppe hört kein Geräusch. Danach folgt ein zweiter Abschnitt von 25 Minuten, in dem jeder in Ruhe arbeiten kann. Am meisten Fehler machen die Versuchspersonen der ersten Gruppe, viel mehr als die Versuchspersonen der zweiten und dritten Gruppe, die etwa gleich wenige Fehler machen. [5] |
Kontrollstrategien erhalten oder stärken die Tendenz, tatsächliche Kontrolle wahrzunehmen, weil sie das Selbstvertrauen steigern, oder sie kompensieren den Verlust tatsächlicher Kontrolle, weil sie die Imagination von Kontrolle hervorrufen. Sie lenken von unerwünschten Zuständen ab. Wer Kontrollstrategien einsetzt, schützt sich vor negativen Empfindungen.
Die Wirkung von Kontrollstrategien zeigt sich allgemein in besseren Leistungen, in einem Wohlgefühl und in höherer Frustrationstoleranz.
Drei Kontrollstrategien werden zur scheinbaren oder potenziellen Kontrolle eingesetzt: Interpretation, Prognose und Plausibilität. |
Die Interpretation (kognitive Kontrolle) deutet einen unerwünschten Zustand um zu einem erwünschten. Der unerwünschte Ist-Zustand wird zum erwünschten Soll-Zustand.
Zum Beispiel wird eine gravierende Auswirkung als harmlos interpretiert, etwa ein schwerer Autounfall als Bagatelle. Oder negative Ereignisse werden als interessante Erfahrungen interpretiert, etwa ein gescheitertes Projekt.
Die Prognose (Informationskontrolle) behauptet, ein unerwünschter Zustand konnte – scheinbar – vorhergesehen werden. Die Vorhersehbarkeit führt zur Vorbereitung auf einen unerwünschten Zustand oder zur Annahme, ein unerwünschter Zustand übersteige nicht die Grenze des Erträglichen.
Zum Beispiel wird ein Ereignis prognostiziert, etwa eine Umstrukturierung im Unternehmen oder die Versetzung an einen anderen Ort. Oder künftige Ereignisse beziehungsweise deren Auswirkungen werden prognostiziert, etwa ein Besuch oder auftretender Lärm.
Prognosen reduzieren die emotionale Belastung, die von unerwünschten Zuständen und Ereignissen ausgehen, sie mindern Ängste und physiologische Anspannung – und zwar umso deutlicher, je länger das Ereignis erwartet wird. So bewältigten Frauen, für die der Zeitpunkt des Todes ihres Ehepartners vorhersehbar war, die Konsequenzen besser, nämlich mit geringerer Resignation.
Die Plausibilität (retrospektive Kontrolle) erklärt ein eingetretenes unerwünschtes Ereignis. Die Erklärung beschreibt – scheinbare – Zusammenhänge.
Zum Beispiel werden einem Ereignis im Nachhinein Ursachen zugeordnet, damit es einen Sinn erhält, etwa wenn sich das Opfer einer Vergewaltigung selbst beschuldigt oder andere ihm eine Mitschuld zuweisen. Oder eine freiwillige unerwünschte Handlung wird als berechtigt hingestellt, etwa falsche Angaben in einer Steuererklärung.
Außenstehende schreiben manchmal Opfern von Unfällen oder Katastrophen Verantwortung für ihr Schicksal zu – je größer der Schaden, desto stärker die Tendenz. – So können sie für sich annehmen, sie hätten sich anders verhalten, und reduzieren subjektiv die Gefahr, ihnen könnte Gleiches zustoßen.
Kontrollverzicht
Manchmal verzichten Menschen bewusst auf Kontrolle. Der Verzicht auf Kontrolle ist das Ergebnis einer – scheinbar – rationalen Analyse der Situation: Das Ausüben der Kontrolle scheint weniger erstrebenswert als der Verzicht auf sie.
Auf Kontrolle wird verzichtet, wenn die Sorge besteht, sich in unangenehmer Weise präsentieren zu müssen, etwa bei einem Auftritt in einer Versammlung.
Auf Kontrolle wird verzichtet, wenn die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass erwünschte Ergebnisse erzielt werden, etwa beim drohenden Scheitern eines Projekts.
Auf Kontrolle wird verzichtet, wenn die Aufmerksamkeit auf Unangenehmes gelenkt werden müsste, etwa bei der Weitergabe als negativ empfundener Informationen.
Wer auf Kontrolle bewusst verzichtet, delegiert sie wenn möglich an andere, etwa weil er eigene Inkompetenz oder Ineffizienz annimmt, zum Beispiel wird bei der Blutabnahme die Kontrolle abgegeben an eine kompetent erscheinende Person.
Kontrolle delegiert, wer unterstellt, ein anderer könne besser handeln als man selbst
– etwa wenn der andere sich besser mit einer Software auskennt.
Kontrolle delegiert, wer ein besseres Ergebnis erwartet, wenn ein anderer handelt
– etwa wenn der andere in vergleichbaren Situationen bereits erfolgreicher war als man selbst.
Kontrolle delegiert, wer unterstellt, ein anderer habe bessere Mittel, um zu handeln
– etwa wenn der andere erfahrenere Mitarbeiter hat als man selbst.
Kontrolle delegiert, wer sich unsicher fühlt zu handeln
– etwa wer in ähnlichen Situationen Misserfolge hatte.
Kontrolle delegiert, wer Schwierigkeiten aufgrund des Handelns erwartet
– etwa wenn mit Widerständen zu rechnen ist.
Kontrolle delegiert, wer negative Sanktionen aufgrund des Handelns erwartet
– etwa wenn das Handeln gegen Normen verstößt.
Kontrollverlust
Wer meint, keinen Einfluss auf eine Situation zu haben, jedoch auf die Situation Einfluss nehmen will, empfindet Kontrollverlust. Beim Zusammenleben und Zusammenarbeiten entstehen permanent Anlässe für Kontrollverluste, zum Beispiel ein Stau beim Autofahren, das Anstehen vor einer Kasse, Terminvorgaben, Arbeitsanweisungen, Entscheidungen Dritter und vieles mehr.
Kontrollverlust wird als Enttäuschung erlebt und enttäuscht werden kann nur, wer andere Erwartungen hatte. Erst wenn die Erwartung, eine Situation kontrollieren zu können, sich nicht erfüllt, kann Kontrollverlust erfahren werden. So ist etwa eine erwartete Verzögerung kein Kontrollverlust, wenn damit gerechnet wurde.
Kontrollverlust wird empfunden, wenn entgegen der eigenen Erwartung erwünschte positive Ereignisse nicht bewahrt oder herbeigeführt werden können, zum Beispiel wenn jemand vergeblich auf eine Information wartet und der Informant auf alle Kontaktversuche nicht reagiert.
Kontrollverlust wird empfunden, wenn negative Erlebnisse nicht vermieden werden oder wenn mit solchen Ereignissen verbundene negative Emotionen nicht abgeschwächt werden können, zum Beispiel wenn jemand in einem Aufzug stecken bleibt.
Mit dem erlebten Verlust der Kontrolle sinkt die Frustrationstoleranz und sinken die Leistungen bei schwierigen Aufgaben. Wer Kontrollverlust empfindet, reagiert entweder mit Konfrontation oder mit Resignation – beides gelernte Verhaltensweisen.
Gelernte Konfrontation (Reaktanz) entsteht, wenn Verhalten dauerhaft zu keinem gewünschten Ergebnis führt und gleichzeitig die eingesetzten Kontrollstrategien nicht greifen. Die Auswirkungen zeigen sich in Widerstand gegen vermeintliche Ursachen des Kontrollverlusts, in Aggression gegen sie oder gar in Vandalismus, aber auch mit Streben nach Autonomie.
Gelernte Konfrontation zeigt sich schon bei Erfahrungen geringen Kontrollverlusts, etwa bei empfundener Einengung persönlicher Freiheit oder beim Aufenthalt in engen Räumen.
Gelernte Konfrontation ist der Versuch, Kontrolle wieder herzustellen. Der Versuch nimmt umso mehr ab, je länger der Kontrollverlust anhält, und mündet in gelernter Resignation.
Gelernte Resignation entsteht aus dem Gefühl, überfordert zu sein. Die Erwartung, Kontrolle wieder erlangen zu können, wird aufgegeben. Hilflosigkeit stellt sich ein. Ursache der gelernten Resignation ist das Erleben massiven oder dauerhaften Kontrollverlusts.
Gelernte Resignation kann sich zum einen auf die Person selbst beziehen, wenn sie nur sich selbst als hilflos ansieht. Oder die gelernte Resignation zeigt sich globaler und sieht alle in einer bestimmten Situation als hilflos an.
Gelernte Resignation ist kein konstanter Zustand. Sie kann umso intensiver werden, je sicherer die Erwartung zukünftiger Unkontrollierbarkeit ist oder je wichtiger das Handlungsergebnis ist.
Kriegsgefangene, Insassen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, aber auch Patienten in psychiatrischen Anstalten und verwitwete Personen mit der subjektiven Wahrnehmung, die eigene unerwünschte Situation nicht verändern zu können, entwickelten Apathie, zogen sich zurück – bis hin zu einem Tod, der medizinisch nicht zu erklären war. [6] |
Kontrollwiederherstellung
Das Bestreben, erwünschte Zustände herbeizuführen beziehungsweise unerwünschte Zustände zu vermeiden oder zu reduzieren, also das Streben nach Kontrolle, ist Voraussetzung, Kontrollverlust ausgleichen zu wollen, also Kontrolle wieder herzustellen. Wer die Kontrolle über eine Situation wieder erlangen will, sieht darin einen Sinn und nimmt an, er habe die Chance, mit seinem Handeln erfolgreich zu sein. Er braucht Selbstvertrauen und die Einschätzung, die Situation beeinflussen zu können. Die Kontrollwiederherstellung ist eine nicht wirkungssichere Bemühung und durchläuft vier Phasen:
1. Bewertung der Relevanz
Das Wiederherstellen der Kontrolle wird angestrebt, sofern eine Situation als erstrebenswert angesehen wird und mit persönlichen Zielen übereinstimmt.
2. Einschätzung der Möglichkeiten
Das Wiederherstellen der Kontrolle wird versucht, sofern überhaupt die Möglichkeit gesehen wird, die Situation entsprechend der eigenen Wünsche zu beeinflussen. Die Versuche sind entweder direkt oder indirekt.
Als indirekte Versuche gelten die Delegation der Kontrolle beziehungsweise der Kontrollverzicht.
3. Einsatz von Kontrollstrategien
Sofern die Versuche, die Kontrolle wieder herzustellen, nicht als erfolgreich empfunden werden, werden Kontrollstrategien eingesetzt, also Interpretation, Prognose und Plausibilität.
4. Empfindung von Kontrollverlust
Sofern die Anwendung der Kontrollstrategien nicht als erfolgreich gewertet werden, wird die Kontrollwiederherstellung aufgegeben, was als Kontrollverlust empfunden wird – mit den Reaktionen Konfrontation beziehungsweise Resignation.
Fazit
Wer Verantwortung trägt für Menschen und ihr Handeln, kann ihnen Einfluss geben, damit sie ihre Situation als kontrollierbar wahrnehmen. Er kann ihnen Sinn vermitteln, damit sie die Kontrolle über ihre Situation ausüben wollen. Er kann ihr Selbstvertrauen stärken, damit sie sich zutrauen, ihre Situation zu kontrollieren. Die Motivation bringen die Menschen selbst mit.
Wer etwas wünscht, spürt die eigene Motivation. Wer etwas erkennt, sieht darin den Sinn. Wer an sich selbst glaubt, hat Selbstvertrauen. Motivation, Sinn und Selbstvertrauen führen zu eigenverantwortlichem und selbstständigem Handeln, wenn die Situation als kontrollierbar wahrgenommen wird.
Die Wahrnehmung, Kontrolle zu haben, erlaubt, mit Motivation, Selbstvertrauen und Sinn zu handeln. |
Peter Hilbert
[1] Dieter Frey, Eva Jonas. Die Theorie der kognizierten Kontrolle
[2] Alfred Adler
[3] Curt Richter. On the Phenomenon of Sudden Death in Animals and Men
[4] Roland Kopp-Wichmann
[5] David Glass, Jerome Singer. Experiments on noise and social stressors
[6] Martin Seligman