Der Preis der Qualität

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Vereinbarungen treffen und erfüllen

Qualität produzieren heißt: vorbeugen statt reparieren. Nicht erst das unwirtschaftliche nachträgliche Korrigieren, sondern das wirtschaftlichere umsichtige Vorbeugen bringt Qualität. Verantwortungsbewusstes Vorbeugen – mit festgelegten Arbeitsabläufe, mit präzisen Absprachen, mit eindeutigen Anforderungen – lässt Abweichungen von der gewünschten Qualität gar nicht erst entstehen.

Qualität sichern

Nachgelagertes Korrigieren – als produktionstechnisch orientierte Qualitätssicherung – bedeutet zusätzliche Nacharbeit: nach der Produktion folgt die Kontrolle der Produkte und Prozesse. Dann sind Produkte oder Dienstleistungen bereits erstellt und müssen eventuell ausgesondert oder repariert werden oder mit ihnen lässt sich nicht der ursprünglich kalkulierte Preis erzielen.

Vorbeugende Qualitätssicherung der Produktionsprozesse – mit einem Minimum an fehlerhaften Produkten und an ineffizienten Prozessen – verlangt effiziente Organisation unter optimaler Nutzung aller Produktionsmittel und aller Mitarbeiterressourcen. Sie betrifft das gesamte Unternehmen und erfordert auf allen Ebenen maximal motivierte und maximal qualifizierte Mitarbeiter.

Qualitätssicherung 1Ziel der Qualitätssicherung ist die hundertprozentige Übereinstimmung mit den Anforderungen. Sofern Kundenanforderungen erfahren, verstanden und realisiert werden, bringt sie auch einen Vorsprung im Wettbewerb.

Qualität vereinbaren

Hundert Prozent Qualität lässt keine Abweichungen von Vereinbarungen zu, sie gilt überall und ausnahmslos. Hundert Prozent Qualität lässt sich erreichen durch Kommunikation, bei der die Beteiligten vereinbaren, was sie konkret unter Qualität verstehen und was sie für welchen Preis realisiert sehen wollen. Hundert Prozent Qualität lässt keine Beeinträchtigung und keine Abweichung beim gemeinsam definierten Ergebnis zu.

100 % Qualität bedeutet, Anforderungen zu 100 % erfüllen.

Hundert Prozent Qualität ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit „absolut fehlerfrei“. Die Beteiligten können zum Beispiel vereinbaren:

  • Nach dem Korrekturlesen sollen im Geschäftsbericht nicht mehr als zwei Rechtschreibfehler zu finden sein. (Finden sich dann im Geschäftsbericht ein oder zwei Rechtschreibfehler, hat das Korrekturlesen dennoch zu hundert Prozent Qualität geführt.)
  • Laut Fahrplan soll ein Zug um 14:09 Uhr im Bahnhof ankommen. Die Beförderungsbedingungen lassen jedoch Abweichungen von fünf Minuten zu. (Kommt der Zug um 14:03 Uhr oder um 14:13 Uhr im Bahnhof an, ist er also zu früh oder zu spät, erfüllt er gleichwohl die Qualität zu hundert Prozent.)
  • Bei der Produktion von 5 Millionen Kleinteilen soll der Ausschuss nicht mehr als 1 ‰ betragen. (Findet sich in einer Charge von 2 Millionen Teilen 1 fehlerhaftes Stück, beträgt die Qualität der Charge dessen ungeachtet hundert Prozent.)

Vereinbarung 1Wenn bereits bei der Vereinbarung der gewünschten und zu einem akzeptablen Preis leistbaren Qualität deutlich wird, dass ein idealer Punkt bei vertretbaren Kosten über- oder unterschritten wird, bietet sich an, eine Toleranzspanne zu verabreden, in der die Qualität zu hundert Prozent erreicht werden kann, zum Beispiel:

  • Die Ware soll zwischen 15 Uhr und 16 Uhr am Lieferort sein. (Nur die Ankunft der Ware vor 15 Uhr oder nach 16 Uhr wären qualitative Abweichungen.)
  • Eine Produktkomponente soll nicht mehr als 5 Gramm wiegen. (Wiegt die Komponente 4,9 Gramm hat sie 100 Prozent Qualität, nicht jedoch wenn sie 5,1 Gramm wiegt.)
  • In Deutschland gilt Bier bis zu 0,5 Volumenprozent Alkoholgehalt als alkoholfrei. (Einem Bier mit 0,6 Volumenprozent Alkohol wäre nicht die Qualität „alkoholfrei“ zuzusprechen.)

Bei anderen Vereinbarungen zur Qualität gilt nur die Null-Fehler-Quote, keine noch so minimale Abweichung wäre tolerabel – unabhängig vom Preis der Qualitätssicherung. Zum Beispiel:

  • Nach einer Inspektion verlässt kein Fahrzeug die Werkstatt ohne funktionstüchtige Bremsen. (Eine Abweichung würde Menschen gefährden.)
  • Auf keinem sterilisierten Skalpell findet sich auch nur ein Krankheitserreger. (Eine Abweichung würde Menschen gefährden.)
  • Keines der Leuchtmittel entwickelt eine Temperatur über 60° Celsius. (Eine Abweichung würde Menschen gefährden.)

Selbst wenn der Aufwand, hundert Prozent Qualität zu erreichen, sehr kostenintensiv ist, kann er sinnvoll sein. Um zu einer vernünftigen Vereinbarung zu kommen, kann hilfreich sein sich vorzustellen, was geschähe, wenn etwas nicht mit hundert Prozent Qualität ausgeführt würde.

Bei 98 % Qualität …

… würde die Elektrizität 30 Minuten pro Tag ausfallen.

… würde das Telefon 3½ Stunden pro Woche nicht funktionieren.

… würde die Deutsche Post pro Tag 16.000 Sendungen verlieren.

… würden weltweit 1.400 Flüge täglich gestrichen.

… wären auf jeder Seite 10 Wörter falsch geschrieben.

… wäre die Trinkwasserversorgung an 8 Tagen im Jahr nicht gesichert.

Gleichwohl gibt es unrealistische Vorstellungen von hundert Prozent Qualität, etwa wenn sie sich selbst mit einem überproportionalen Aufwand nicht realisieren lässt. Zum Beispiel:

  • Im nächsten Jahr soll es keine Unfallopfer auf deutschen Straßen geben. (100 Prozent Qualität ließe sich wohl nur erzielen, wenn keine deutsche Straße benutzt würde.)
  • Auf dem Campingplatz am See soll im August keine einzige Stechmücke zu finden sein. (Selbst wenn es gelänge, bis Ende Juli sämtliche Stechmücken samt Brut auszurotten, könnte im August eine Stechmücke den Weg zum Campingplatz am See finden.)
  • Alle 1.400 Mitarbeiter unseres Unternehmens sollen an jedem Arbeitstag zwischen 8:00 Uhr und 8:01 an ihrem Arbeitsplatz eintreffen. (Auch wenn den Mitarbeitern gelänge, ohne staubedingte Verzögerung zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen, dürfte keiner krank werden, Urlaub haben, in Elternzeit oder bei einem Kunden sein.)

Welche Vereinbarung auch immer getroffen ist, ob mündlich oder schriftlich dokumentiert, der Anspruch der Qualität heißt: Die Vereinbarung wird ohne Abweichung eingehalten – wie jedes Versprechen oder jeder Vertrag.

Qualität bezahlen

Abweichungen von der vereinbarten Qualität haben ihren Preis ebenso wie das Sichern der hundertprozentigen Übereinstimmung mit der Vereinbarung.

Beispiele für Kosten der
Abweichung

  • Überarbeitung und Korrektur
  • Regressansprüche·
  • Rücklieferungen
  • Fehlchargen
  • Ausfallzeiten
  • Einzelbeschaffungen
  • Sonderlieferungen
  • Zusatzmaterial
  • Verlorene Kunden
Beispiele für Kosten der Übereinstimmung

  • Vorbeugende Maßnahmen
  • Überwachung
  • Messgeräte
  • Wartung
  • Prüfungen und Inspektionen
  • Revisionen
  • Schulungen
  • Qualitätsmanagement
  • Prozesskontrolle

Der Preis für Abweichungen – also was es kostet, unannehmbare Fehler zu machen – addiert mit dem Preis für das Sichern der Übereinstimmung – also was es kostet, es wie vereinbart richtig zu machen – ergibt den Preis der Qualität.

Preis der Qualität   =   Preis der Abweichung   +   Preis der Übereinstimmung

Wirtschaftlich wird Qualität, wenn der Aufwand für das Vermeiden von Abweichungen sowie der Aufwand für die Übereinstimmung mit den Qualitätsanforderungen möglichst gering ist. Mit je weniger Fehler die vereinbarte Qualität erreicht wird und umso weniger Aufwand für die Qualitätssicherung betrieben wird, umso geringer ist der Preis der Qualität.

Vereinbarung 2Der Anspruch, hundert Prozent Qualität mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erwirtschaften, verlangt die Einstellung aller Beteiligten, ihren Beitrag zur Qualität gleich richtig zu leisten, also ohne unannehmbare Fehler. Am wirtschaftlichsten wird Qualität nur mit möglichst keiner Abweichung erzielt. Jede Fehlertoleranz kostet Geld – zur Korrektur oder zur Qualitätssicherung.

Wirtschaftlich lässt sich hundert Prozent Qualität erreichen durch systematisches Beheben und Vermeiden auch tolerabler Abweichungen:

  1. Definieren der Abweichung – zum Beispiel fehlende Teile in einer Sendung oder das Verlieren eines Kunden.
  2. Beheben der Abweichung – zum Beispiel durch Sonderlieferungen oder durch Preisnachlässe.
  3. Feststellen der Ursachen der Abweichung – zum Beispiel wegen vergessener Bestellung oder wegen geringerer als der vereinbarten Qualität.
  4. Korrigieren der Ursachen – zum Beispiel durch präzisere Dokumentation oder durch vorbeugende Qualitätsprozesse.
  5. Überprüfen der Wirksamkeit der Korrektur – zum Beispiel durch Prüfung der Anzahl von Sonderlieferungen oder durch Kundenbefragungen.

Am Ende entscheidet nicht der Produzent oder Dienstleister über die Qualität, sondern – anhand der Vereinbarungen – der Abnehmer.

Peter Hilbert