Selbstbild versus Fremdbild

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Wahrnehmungen unterscheiden sich

Welches Bild haben andere von Ihnen? Welches Bild haben Sie von sich selbst? Gleichen sich die Bilder oder unterscheiden sie sich?

Was ist Ihre Komfortzone, in der Sie sich wohlfühlen, in der Sie entsprechend Ihren Gewohnheiten spontan handeln und aus der heraus Sie mit anderen gerne kommunizieren? Wie beschreiben andere Ihre Komfortzone und fällt anderen leicht, ihre eigene Komfortzone mit Ihrer zu synchronisieren?

Was ist Ihre Kompromisszone, in der Sie sich zwar inkommod fühlen, doch handlungsfähig sind, in der Ihnen die Konzentration schwerfällt und in der Ihnen diplomatisches, reflektiertes Kommunizieren einige Kraft kostet? Welches Verhalten anderer führt Sie aus Ihrer Komfortzone in Ihre Kompromisszone? Mit welchem Verhalten führen Sie andere in ihre Kompromisszone – gewollt oder ungewollt?

Was ist Ihre Panikzone, in der Sie emotional verkrampfen, in der Sie nicht mehr strategisch vernünftig handeln können und aus der heraus Ihnen keine freundliche oder auch nur höfliche Kommunikation mehr möglich ist? Welches Verhalten anderer bringt Sie in Ihre Panikzone? Mit welchem Verhalten bringen Sie andere in ihre Panikzone?

Komfortzone, Kompromisszone, Panikzone

Schon früh im Leben lernen Menschen Verhaltensweisen, über die sie als Erwachsene nicht mehr nachdenken. Sie lernen zu sprechen und nehmen dabei vielleicht einen Dialekt an. Sie lernen zu schreiben und entwickeln mit der Zeit ihre eigene unverwechselbare Handschrift. Sie lernen, bestimmte Handgriffe auf ganz individuelle Weise auszuführen und vieles mehr. So entstehen individuelle Verhaltensweisen, die für jeden Einzelnen normal, bequem und auch effizient sind.

Menschen fühlen sich gemeinhin wohl mit ihren erworbenen Verhaltensweisen, die sie Gewohnheiten oder auch Komfortzone nennen. Schon frühzeitig haben Menschen auch für die Interaktion mit anderen Verhaltensweisen erlernt, mit denen sie auf ihre persönliche Weise in Beziehungen eintreten und mit denen sie bei anderen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen – erwünschte und unerwünschte.

Die Komfortzone ist das Spektrum der jeweils individuellen Verhaltensweisen, Bedürfnisse, Erwartungen, Stärken und Schwächen. Jeder Mensch hat seine persönliche Komfortzone, in der er sich wohlfühlt, in der er sein kann, wie er ist, und in der er sich verhält, wie er es gewohnt ist, so wie er es mag. In seiner Komfortzone gebraucht jeder seine im Verlauf seines Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Jeder Mensch hat das Recht auf seine persönliche Komfortzone, in der er sich besonders komfortabel fühlt, seine schöpferische, kreative Energie nutzt und seine Fähigkeiten und Fertigkeiten unmittelbar freisetzt.

Jeder Mensch ist in der Lage, seine Komfortzone verlassen, wenn er das will. Es gibt unzählige Situationen, in denen Menschen für eine gewisse Zeit gern und freiwillig ihre Komfortzone verlassen, denn sie hilft in aller Regel, besser mit anderen zu kommunizieren. Meistens setzen sie diese Fähigkeit unbewusst ein. Um die eigene Kommunikationsfähigkeit noch weiter zu verbessern, hilft Menschen die Fähigkeit, ihre Komfortzone situativ und bewusst zu verlassen, auch wenn es manchmal schwerfällt.

Wenn sie ihre Komfortzone verlassen, kommen Menschen in ihre Kompromisszone, in der sie sich höflich, einfühlsam und freundlich verhalten – wenn sie das wollen. In ihrer Kompromisszone befinden sich Menschen zwischen einem guten und einem schlechten Zustand. Die Kompromisszone erlaubt ihnen, Sachverhalte neu zu sehen und Handlungen auszuprobieren.

Der Kompromisszone folgt die Panikzone. In ihr fühlen sich Menschen überfordert, angespannt, unglücklich. Wenn Menschen in ihre Panikzone gedrängt werden, lassen sich Konflikte nicht vermeiden. Die einen werden aggressiv, andere ziehen sich völlig zurück. In der Panikzone sind sämtliche positiven Fähigkeiten und Fertigkeiten blockiert.

Eine Möglichkeit, die eigene Komfortzone, Kompromisszone und Panikzone genauer zu erkennen, ist der Weg, über Selbstreflexion das Selbstbild und über Feedback das Fremdbild sich vor Augen zu halten. Beide Bilder genauer zu kennen gibt die Chance, unpassende Verhaltensweisen abzubauen und passende bewusst beizubehalten beziehungsweise auszubauen.

Selbstbild

Menschen haben eine mehr oder weniger genaue Vorstellung von sich selbst, weil sie schon einmal oder öfter darüber nachgedacht haben, wer sie sind, was sie als Individuen kennzeichnet, und sich Fragen gestellt haben wie:

  • Welche Eigenschaften zeichnen mich aus?
  • Welche Erfahrungen haben mich geprägt?
  • Was wünsche ich mir von meinem Leben?
  • Über welche Fähigkeiten verfüge ich?
  • Wie bewerte ich mein Äußeres?
  • Wie verhalte ich mich anderen gegenüber?

Die Antworten auf solche Fragen zeigen die Vorstellung, die jemand von sich hat: sein Selbstbild.

Das Selbstbild entsteht aus der Selbstwahrnehmung der eigenen Person. Es kontrastiert mit dem idealisierten Wunschbild von sich selbst und besteht aus Vorstellungen und Eindrücken von der eigenen Persönlichkeit, vom eigenen Charakter und von der eigenen Körperlichkeit sowie vom eigenen Verhalten, von den eigenen Talenten, den eigenen Fähigkeiten und den eigenen Fertigkeiten, von den eigenen Wertvorstellungen, den eigenen Bedürfnissen, den eigenen Interessen, den eigenen Wünschen und den eigenen Zielen sowie vom eigenen Denken und Fühlen, von den eigenen sozialen Beziehungen nicht zuletzt von den eigenen Schwächen und Stärken.

Die auf sich selbst bezogene Wahrnehmungen werden zwar von der jeweils aktuellen Situation beeinflusst, dennoch erscheint das Selbstbild stabil und über unterschiedliche Situationen hinweg konstant. Menschen nehmen vornehmlich Elemente ihres Selbstbilds wahr, mit denen sie sich gerade besonders beschäftigen; andere Elemente ihres Selbstbilds, die im Augenblick nicht in ihrem Fokus stehen, erleben sie weniger stark.[1] Auch erinnern sich Menschen besonders an Erlebnisse, die zu ihrem aktuellen Selbstbild passen, und sie tendieren dazu, negativ bewertetes eigenes Verhalten auf Situationen statt auf Persönlichkeitseigenschaften zurückzuführen.

Personen nehmen ihre eigenen Verhaltensweisen, Gefühle, Gedanken und körperliche Zustände wahr und ziehen aus dieser Selbstbeobachtung Rückschlüsse auf eigene Fähigkeiten und Eigenschaften. Allerdings werden Informationen, die potenziell den Selbstwert erhöhen oder erniedrigen können, nicht in gleicher Weise verarbeitet. So werden eigene Leistungserfolge vorwiegend auf interne Faktoren, wie Fähigkeit und Anstrengung, eigene Misserfolge dagegen auf externe Funktionen zurückgeführt, wie Aufgabenschwierigkeit und Pech.[2]

Das Selbstbild wird geformt durch eigene negative und positive Erlebnisse und Erfahrungen vor allem in sozialen Beziehungen. Es beeinflusst Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen einer Person – entweder positiv als empfundener Erfolg und empfundene Stärke oder negativ als empfundener Misserfolg und empfundene Schwäche.

Geringes Selbstwertgefühl und geringes Selbstvertrauen zeigen sich in häufiger und für andere nicht immer nachvollziehbarer Kritik gegen die eigene Person bis hin zu Minderwertigkeitsgefühlen. Schwächen und Misserfolge werden überbewertet und eigene positive Eigenschaften und Stärken werden übersehen. Ein ausgeglichenes Selbstwertgefühl und ein ausgeglichenes Selbstvertrauen lassen Wohlbefinden entstehen.

Hohes Selbstwertgefühl und großes Selbstvertrauen können in Selbstgefälligkeit münden bis hin zu Überlegenheitsgefühlen. Eigene Schwächen und Misserfolge werden übersehen und eigene Kompetenzen überschätzt.

Auch das Verhalten anderer beeinflusst das Selbstbild einer Person: Einerseits prägt die Art und Weise, wie jemand von anderen behandelt wird, wie die behandelte Person sich selbst sieht. Andererseits lässt eine Person ihr Verhalten von anderen umso weniger beeinflussen, je überzeugter sie von sich selbst ist.

Eine schriftliche Selbstreflexion, die vermutete eigene Stärken und Schwächen formuliert, kann zu einem – zwar situativ geprägten – Selbstbild führen, sie kann klären, wie eine Person sich selbst sieht. Ein einfaches T-Diagramm erleichtert das Finden von als positiv und negativ empfundenen Eigenschaften und Verhaltensweisen, ohne schon Begründungen zu liefern. Noch klarer wird das Bild, wenn anschließend eine Rangfolge der wichtigsten Stärken und Schwächen ergänzt wird.

Ausriss aus einem verschriftlichten Selbstbild:
Stärken

Kommunikation

Eigenständigkeit

Kompetenz      1

Flexibilität

Engagement    2

Strategisches Denken

Offenheit

Empathie

Hilfsbereitschaft

Loyalität           3

Schwächen

Unsicherheit bei Neuem                  3

Egoismus

Opportunismus

Stimmungsschwankungen          2

Negatives Selbstbild

Mangelnde Teamfähigkeit

Ungeduld

Hohe Ansprüche an Mitarbeiter     1

Inkonsequenz gegenüber Mitarbeitern

Schwierigkeit, nein zu sagen

Vermutetes Fremdbild

Ergänzen lässt sich das Selbstbild durch das vermutete Fremdbild. Denn andere Menschen sehen die eigene Person womöglich anders. Für das vermutete Fremdbild notiert die Person selbst – analog zum verschriftlichten Selbstbild –, wie andere wohl die Stärken und Schwächen der Person einschätzen. Auf eine Rangfolge der vermuteten Einschätzungen wird verzichtet.

Ausriss aus einem vermuteten Fremdbild:
Stärken

Pflegt Netzwerke

Kennt Unternehmensstrukturen

Beherrscht ihr Handwerk

Ist belastbar

Engagiert sich überdurchschnittlich

Wirkt offen

Ist verantwortungsbewusst

Handelt zielorientiert

Schwächen

Ist nicht authentisch

Setzt sich nicht für Mitarbeiter ein

Delegiert unklar

Wirkt unsicher

Manipuliert Menschen

Sucht stets den eigenen Vorteil

Ist unkollegial

Ist ehrgeizig

Prägnanter werden die Einschätzungen des vermuteten Fremdbilds, wenn sie in einem Resümee zusammengefasst werden.

Beispiel eines Resümees:

Die Stärken liegen in der Aufgabenorientierung und der Rationalität.

Die Schwächen liegen in der Menschenorientierung und der Emotionalität.

Auch wenn die aktuelle Situation mit ihren Stimmungen und akuten Themen, mit ihren alltäglichen Anforderungen und Ablenkungen auf die ohnehin subjektiven Einschätzungen einwirken und deshalb ungeklärt bleibt, wie realistisch Selbstbild und vermutetes Fremdbild sind, geben beide doch einen hinreichenden Überblick zum eigenen Verhalten und seiner Wirkung – und vielleicht Anstöße für von der Person selbst gewünschte Verhaltensänderungen.

Fremdbild

Anders als ein nur vermutetes Fremdbild fällt ein Fremdbild aus, das von einer anderen Person gegeben wird. Auch wenn andere womöglich nicht gar so intensiv über Personen, mit denen sie zu tun haben, nachdenken, so schätzen sie sie dennoch ein oder nehmen zumindest ihr Verhalten wahr. Sie haben ein Fremdbild von ihnen – auch wenn sie nicht unbedingt darüber sprechen.

Im Unterschied zu den spekulativen Mutmaßungen des nur vermuteten Fremdbilds entsteht das Fremdbild, das eine andere Person von einer eingeschätzten Person hat, aus deren subjektiven Wahrnehmungen, Gefühlen und Bewertungen, aus deren Erfahrungen mit der eingeschätzten Person.

In der sozialen Interaktion prägt das Fremdbild der einschätzenden Person ihr Verhalten gegenüber der eingeschätzte Person und in der Folge auch das Verhalten des Eingeschätzten gegenüber dem Einschätzenden.

In das Fremdbild können allerdings auch persönliche Erfahrungen der einschätzenden Person einfließen, die nur bedingt oder indirekt mit der eingeschätzten Person attribuiert sind: etwa ihr eigenes Selbstbild, ihre Erwartungen, ihre aktuelle Stimmung. Das Fremdbild objektiviert zwar das vermutete Fremdbild, weil eine zusätzliche Person die eigenen Einschätzungen ergänzt, bestätigt oder korrigiert, doch es ist kein objektives Bild.

Im Fremdbild kann ein Verhalten der eingeschätzten Person etwa negativ bewertet werden, weil die einschätzende Person das Verhalten bei sich selbst als negativ empfindet oder weil die eingeschätzte Person den Einschätzenden an jemand anderen erinnert, mit der er negative Erfahrungen gemacht hat. Oder die einschätzende Person übersieht ein positives Verhalten, das sie dem Eingeschätzten nicht zutraut. Oder sie überträgt eine einzelne negative Erfahrung mit dem Eingeschätzten auf die Person insgesamt.

Auch positive Verfälschungen können sich in das Fremdbild einschleichen, etwa wenn sich aus Sympathie oder starken positiven Gefühlen eine Idealisierung entwickelt hat, die negatives Verhalten kaum oder nicht wahrnimmt. Nicht zuletzt kann das Fremdbild verzerrt werden, wenn die eingeschätzte Person versteht, Schwächen, Inkompetenzen oder unvernünftige Gedanken zu verbergen.

Wenn die eingeschätzte Person von ihren Fremdbildern erfährt, können sie ein hilfreiches Korrektiv zum Selbstbild sein, da die Fremdeinschätzungen Hinweise geben können auf Perspektiven oder Eigenschaften, die dem Selbstbild entgangen sind. Das Registrieren von Fremdbildern kann zu besserem Verständnis von Reaktionen anderer führen, Wirkungen des Verhaltens der eingeschätzten Person offenlegen und Impulse geben für Verhaltensänderungen.

Selbst- und Fremdwahrnehmung

Das Selbstbild, das eine Person von sich hat, stimmt sicher nicht völlig mit den Fremdbildern überein, das andere Personen von ihr haben – schon gar nicht jeden Tag, da die Stimmungen, die Selbstbild und Fremdbild beeinflussen, schwanken und nicht etwa weil die einschätzenden Personen die eingeschätzte nicht realitätsgerecht wahrnehmen. Außerdem fällt der eingeschätzten Person an sich selbst anderes auf als den einschätzenden, denn sie nimmt ihre eigenen Eigenschaften und Fähig­keiten, ihre Wertvorstellungen und ihr Verhalten, ihre Stärken und Schwächen anders wahr als andere und nur sie kennt ihre unausgesprochenen Gedanken und Gefühle. Andere Personen haben ihre eigenen Gedanken und Emotionen. Selbstbild und Fremdbild sind verschiedene Bilder.

  • Vielleicht wirkt eine Person auf andere stark, während sie sich selbst schwach fühlt. Vielleicht meint eine Person, sie sei freundlich zu anderen, während andere sie als unfreundlich wahrnehmen. Vielleicht meint eine Person, sie verhalte sich kollegial, während andere sie als zu dominant empfinden.
Selbstbild und Fremdbild spiegeln nicht notwendigerweise die Realität, sondern sind Resultat persönlicher Wahrnehmungen und Bewertungen.[3]

Selbstbild und Fremdbild entstehen aus subjektiven Einschätzungen verschiedener Menschen und unterscheiden sich daher grundsätzlich – unabhängig von der Frage, ob sie mit der Realität übereinstimmen.

Erfährt die eingeschätzte Person von einem auf sie bezogenen Fremdbild, kann es – bei aller Ungenauigkeit – als Ergänzung ihres Selbstbilds ein wichtiges soziales Korrektiv sein, das ihrer Selbstreflexion dienen und sowohl ihr Denken, ihre Gefühle, ihre Einstellungen und Überzeugungen wie auch ihr Verhalten beeinflussen kann.

Feedback

Ein Fremdbild, das eine Person zu sich beschrieben bekommt, ist für sie ein Feedback zu ihrem Verhalten. Der Feedbackgeber schildert dem Feedbacknehmer mündlich oder schriftlich seinen persönlichen Eindruck, wie er das Verhalten des Feedbacknehmers wahrnimmt. Das Feedback bezieht sich nicht auf die Persönlichkeit des Feedbacknehmers, sondern auf vom Feedbackgeber wahrgenommene Verhaltensweisen – positive und negative. Feedback analysiert nicht und psychologisiert nicht. Es ist kein pauschales Urteil, sondern eine Darstellung subjektiver Eindrücke.

Der Feedbackgeber beschreibt möglichst neutral und genau aus seiner subjektiven Perspektive, wie er das Verhalten des Feedbacknehmers wahrnimmt, versteht, erlebt, doch er verurteilt es nicht, interpretiert es nicht, er generalisiert nicht. Er beschreibt Beobachtungen, die er positiv bewertet, und solche, die er negativ beurteilt. Seine Darlegungen sind so ausführlich und konkret wie möglich. Wohlüberlegt schildert er Beispiele von Verhaltensweisen des Feedbacknehmers und welche Reaktionen sie bei ihm bewirkt haben. Der Feedbackgeber vermittelt ausschließlich, was er bemerkt, gefühlt, gesehen oder gehört hat. Ergänzend kann er wohlmeinende unterstützende Wünsche für Verhaltensalternativen an den Feedbacknehmer formulieren: Vorschläge, was der Feedbacknehmer verbessern könnte. Der Feedbackgeber macht Wahrnehmungen als Wahrnehmungen erkennbar, Vermutungen als Vermutungen und Gefühle als Gefühle.

Der Feedbackgeber trägt die Verantwortung für die Beschreibung seiner Wahrnehmung und überlässt dem Feedbacknehmer die Verantwortung für dessen Verhalten. Er traut dem Feedbacknehmer zu, das Feedback nutzen zu können, und nimmt sich Zeit, das Feedback angemessen darzulegen. Er hat Mut, eventuell entstandenes Unbehagen zu vermitteln, ebenso wie er positive Gefühle und Eindrücke nennt. Er bezieht sich auf Verhaltensweisen, die der Feedbacknehmer ändern kann, und bedenkt die Wirkung seines Feedbacks. Er überlässt dem Feedbacknehmer, die Informationen des Feedbacks nach Gutdünken zu verwenden.

Der Feedbacknehmer erfasst die Äußerungen des Feedback­gebers, indem er aufmerksam liest beziehungsweise zuhört, und akzeptiert sie als persönliche Eindrücke des Feedbackgebers. Wenn er etwas nicht versteht, fragt er nach oder klärt Missverständnisse, doch er widerspricht nicht, rechtfertigt sich nicht, verteidigt sich nicht, argumentiert nicht. Feedback nehmen bedeutet Informationen erhalten und sie kritisch überdenken, nicht aber automatisch, das eigene Verhalten zu ändern. Der Feedbacknehmer entscheidet, wie er das Feedback für sich nutzen will.

Feedbackgeber wie Feedbacknehmer behandeln das Feedback vertraulich. Sie wissen: Das Feedback schließt die Möglichkeit eines Irrtums nicht aus. Nach dem Feedback können Feedbackgeber und Feedbacknehmer die Rollen tauschen: Dann wird der Feedbackgeber zum Feedbacknehmer und der Feedbacknehmer wird zum Feedbackgeber.

Wer über sich, seine soziale Situation und sein Verhalten nachdenkt und sich von anderen Feedback holt, ergänzt sein Selbstbild systematischer, fokussierter, überlegter und umfassender als etwa durch spontane Hinweise, die sich in einem Gespräch ergeben können.

360°-Feedback

Ein 360°-Feedback zeigt dem Feedbacknehmer Einschätzungen seines Verhaltens, seiner Kompetenzen und Leistungen aus unterschiedlichen Perspektiven – zum Beispiel aus dem Blickwinkel seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, seiner Führungskraft, seiner Kolleginnen und Kollegen, seiner Lieferanten, seiner Kunden – und erreicht eine größere Objektivität als ein einzelnes Feedback, weil mehrere Personen ihr Feedback geben.

Die Einschätzungen der Feedbackgeber beziehen sich auf das gesamte Spektrum des – beruflichen – Wirkens des Feedbacknehmers und schaffen gemeinsam ein umfassendes und vielfältiges Fremdbild zu seinem Handeln. Zusammen mit dem Selbstbild entsteht eine fundierte Einschätzung der Verhaltensweisen, der Stärken und Schwächen des Feedbacknehmers, aus der er reflektiert Konsequenzen ableiten kann.

Ein 360°-Feedback konkretisiert zum Beispiel, wie das arbeitsbezogene Verhalten einer Person von anderen bewertet wird:
Der Mitarbeiter, für den das 360°-Feedback erstellt wird, erstellt als Selbst­einschätzung ein ausführliches Stärken-Schwächen-Profil oder füllt einen Fragebogen aus.
90° Die direkte Führungskraft gibt dem Mitarbeiter Feedback zu dessen Stärken und Potenzialen oder füllt den gleichen Fragebogen aus.
180° Das Team des Feedbacknehmers, seine Mitarbeiterinen und Mitarbeiter, nimmt Stellung zum Verhalten des Feedbacknehmers – als Stellungnahmen oder auch mittels des gleichen Fragebogens.
270° Kollegen derselben Ebene wie der Feedbacknehmer nehmen Stellung zum Verhalten des Mitarbeiters, eventuell mittels des Fragebogens.
360° Externe – und interne – Auftraggeber des Feedbacknehmers beschreiben ihre Erfahrungen mit ihm, gegebenenfalls mittels des Fragebogens.

Die Feedbackgeber äußern sich möglichst schriftlich und der Feedbacknehmer erhält ihre Feedbacks auf Wunsch anonymisiert. Womöglich ist der Betriebsrat einzubeziehen. Mit seiner Führungskraft vereinbart der Feedbacknehmer eventuell kurzfristige oder langfristige Verhaltensänderungen mit priorisierten Entwicklungsmaßnahmen, wie Training, Coaching oder Mentoring, und mit einem Termin zur Verifizierung des Erfolgs.

Das 360°-Feedback relativiert das Selbstbild. Es konkretisiert Veränderungsbedarf und motiviert, Kompetenzen des Feedbacknehmers zu verstärken beziehungsweise Potenziale zu entfalten. Es konzentriert die Weiterentwicklung auf den Feedback­nehmer und fördert offene Kommunikationskultur.

In der Praxis

Neben dem T-Diagramm, das das Selbstbild sowie das vermutete Fremdbild zu den Stärken und Schwächen verschriftlicht, kann aus gegebenem Anlass ein aktuelles Thema Akzente im Selbstbild setzen. Etwa zur Verbesserung der Kommunikation in einem Team kann die Vorgabe, Sätze zu vervollständigen, zu einem themenbezogenen Selbstbild führen. Durch die – freiwillige – Offenlegung der Selbstbilder können die Satzergänzungen miteinander verglichen werden und so das jeweils eigene Selbstbild relativieren und auf Nachfrage zum Feedback werden lassen. – Ein Beispiel

Unter Kommunikation verstehe ich …

Mitarbeiter A: „… miteinander sprechen“
Mitarbeiter B: „… informieren“
Mitarbeiter C: „… auch über Privates sprechen“
Mitarbeiter D: „… per Gespräch Probleme lösen“
Mitarbeiter E: „… einander zuhören und antworten“
Mitarbeiter F: „… sich verbal und non-verbal verständigen“
Mitarbeiter G: „… Erfahrungen, Ideen und Meinungen austauschen“
Mitarbeiter H: „… offen diskutieren, anregen und motivieren“

 

Kommunikation empfinde ich als negativ, wenn …

Mitarbeiter A: „… unsachlich, unfreundlich oder unhöflich gesprochen wird oder mit abweisender Haltung“
Mitarbeiter B: „… Menschen aneinander vorbeireden“
Mitarbeiter C: „… Beschimpfungen, Vorwürfe, Beleidigungen oder Angriffe der Inhalt sind“
Mitarbeiter D: „… die Beteiligten einander nicht zuhören, nicht verstehen wollen und andere Ansichten nicht akzeptiert werden“
Mitarbeiter E: „… jemand unterbricht, andere nicht ausreden lässt“
Mitarbeiter F: „… mir jemand seine Meinung aufzwängen will und mich nicht akzeptiert, wie ich bin“
Mitarbeiter G: „… nur Smalltalk betrieben wird und es kein Ergebnis für die
Beteiligten gibt“
Mitarbeiter H: „… sie aus einseitigen Monologen besteht“

Auf negativ empfundene Kommunikation reagiere ich …

Mitarbeiter A: „… mit einer klaren Ansage, zum Beispiel mit ‚Stopp‘“
Mitarbeiter B: „… mit Abbruch der Kommunikation oder gedanklichem Abschalten“
Mitarbeiter C: „… pampig, aggressiv, ablehnend, explosiv, mit Ironie“
Mitarbeiter D: „… mit Schockstarre und Rückzug, eher verschlossen und passiv“
Mitarbeiter E: „… höflich, die Haltung wahrend“
Mitarbeiter F: „… genervt und frustriert“
Mitarbeiter G: „… mit Gegenwehr in der Diskussion“
Mitarbeiter H: „… zurückweichend, nachgebend, nachdenklich, mit Rechtfertigung“

Kommunikation empfinde ich als positiv, wenn …

Mitarbeiter A: „… sie zu wechselseitigem Verständnis mit konstruktiver Problemlösung führt und den Beteiligten ein Win-win-Ergebnis bringt“
Mitarbeiter B: „… sie mit Lob beginnt und positive oder sogar liebevolle Schwingungen zu spüren sind“
Mitarbeiter C: „… sie zu Gemeinsamkeiten und einem für alle sachlich zufriedenstellenden Ergebnis führt“
Mitarbeiter D: „… sie flüssig und fruchtbar verläuft, neue Sichtweisen bringt und ich Neues erfahre“
Mitarbeiter E: „… zugehört und nachgefragt wird und Meinungen respektiert werden“
Mitarbeiter F: „… interessante Menschen gemeinsame Grundlagen finden und vertrauensvoll und unvoreingenommen miteinander umgehen“
Mitarbeiter G: „… sie humorvoll, mit Spaß und Freude verläuft, wertschätzend mit freundlicher Ansprache“
Mitarbeiter H: „… ich mich angenommen fühle, mich einbringen kann und gehört werde“

Auf positiv empfundene Kommunikation reagiere ich …

Mitarbeiter A: „… freundlich lächelnd“
Mitarbeiter B: „… entspannt, locker“
Mitarbeiter C: „… liebevoll“
Mitarbeiter D: „… zugewandt, positiv und offen“
Mitarbeiter E: „… zufrieden“
Mitarbeiter F: „… mit Smalltalk“
Mitarbeiter G: „… anerkennend, mit Sympathie“
Mitarbeiter H: „… kreativ und motiviert“

Ich kommuniziere gern mit Menschen, die …

Mitarbeiter A: „… die gleiche Wellenlänge haben wie ich“
Mitarbeiter B: „… eine positive Einstellung haben“
Mitarbeiter C: „… witzig, lustig, humorvoll, interessant und offen sind“
Mitarbeiter D: „… ehrlich und authentisch sind“
Mitarbeiter E: „… mir sympathisch sind“
Mitarbeiter F: „… mir ihre Aufmerksamkeit zeigen“
Mitarbeiter G: „… mir vertrauen und denen ich vertraue“
Mitarbeiter H: „… Intelligentes zu sagen haben“

Ich kommuniziere ungern mit Menschen, die …

Mitarbeiter A: „… sich rassistisch äußern“
Mitarbeiter B: „… misslaunisch und miesepetrig sind“
Mitarbeiter C: „… mir unsympathisch sind“
Mitarbeiter D: „… unfreundlich oder gar aggressiv auftreten“
Mitarbeiter E: „… sehr laut oder sehr leise sprechen“
Mitarbeiter F: „… sich desinteressiert oder ablehnend verhalten“
Mitarbeiter G: „… intolerant und voreingenommen sind“
Mitarbeiter H: „… rechthaberisch diskutieren“

Das Feedback mittels der Satzergänzungen eignet sich, um gemeinsame und unterschiedliche Perspektiven im Team einander gegenüberzustellen und damit mehr wechselseitiges Verständnis zu erreichen.

Für ein 360°-Feedback geeignet sind schriftliche Vorgaben, zu denen sowohl der Feedbacknehmer wie auch die Feedbackgeber ihre Einschätzungen abgeben. Damit Selbstbild und Fremdbilder leicht miteinander abzugleichen sind, bietet sich an, für die Antworten eine Skala vorzugeben, zum Beispiel:

1 2 3 4 5 6 7
Trifft gar
nicht zu
Trifft
nicht zu
Trifft
etwas zu
Weiß
nicht
Trifft
eher zu
Trifft
zu
Trifft
völlig zu

So können Feedbacknehmer und Feedbackgeber ihre Eindrücke aufgrund der vorgegebenen Aussagen schnell kennzeichnen. – Hier eine Auswahl von Aussagen zum Erstellen eines 360°-Feedbacks[4]:

Aussagen zum Verhalten des Feedbacknehmers Einschätzung
Spricht klar.
Vertraut Teammitgliedern.
Hat starken Einfluss auf einzelne Teammitglieder.
Versteht die Gefühle der Teammitglieder.
Möchte keine enge persönliche Beziehung zum Team.
Hört aufmerksam zu.
Trägt Ideen überzeugend vor.
Duldet keine anderen Meinungen.
Spricht auch über eigene Gefühle.
Kann Konflikte im Team nicht gut aushalten.
Zeigt offen seine Zuneigung.
Lässt sich von anderen beeinflussen.
Ist im Team sehr akzeptiert.
Ist verständnisvoll, wenn andere mit Problemen kommen.
Wirkt eher gehemmt.
Nimmt Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer.
Schätzt bewährte und anerkannte Denkweisen und Handlungen.
Engagiert sich wenig.
Begegnet anderen aufgeschlossen.
Hilft anderen, ihr Potenzial zu entwickeln.
Ist fantasievoll und hat eine Menge guter Ideen.
Scheint sich manchmal selbst zu bemitleiden.
Bewertet Sachverhalte klar als richtig oder falsch.
Ist häufig in der Rolle, andere zu trösten.
Sucht Fehler zuerst bei anderen.
Ist neugierig und probiert viel Neues aus.
Übernimmt Aufgaben, die für andere schwierig zu sein scheinen.
Scheint in vielen Situationen alleine nicht zurechtzukommen.
Hilft anderen häufig in schwierigen Situationen.
Fordert Anerkennung und Dankbarkeit.
Wirkt selbstsicher.
Wirkt optimistisch.
Scheint von sich überzeugt zu sein.
Wirkt mit sich zufrieden.
Zeigt selten Stolz auf die eigenen Leistungen.
Vergewissert sich, gut genug zu sein
Macht manchmal einen unzufriedenen Eindruck.
Kommt mit allen Leuten gut aus.
Fragt nach Ansichten, die von der eigenen abweichen.
Zeigt sich interessiert am Fühlen und Denken anderer.
Begegnet anderen offen und ehrlich.
Unterstützt Mitarbeiter, sich selbst weiterzuentwickeln.
Ist in Konfliktsituationen rechthaberisch.
Verteilt mehr Kritik als Anerkennung.
Findet schnell Schwächen anderer.
Zeigt sich schnell enttäuscht.
Verhält sich in Verhandlungen eher stur.
Überschätzt die eigenen Fähigkeiten.
Verhält sich wenig zielstrebig.
Gibt schnell auf.
Läuft immer wieder in dieselben Probleme hinein.
Zeigt sich wenig optimistisch.
Stellt eigene Bedürfnisse zugunsten anderer Personen hintenan.
Verlangt von sich und anderen pedantische Korrektheit.
Ist sehr anspruchsvoll.

Das 360°-Feedback mittels Einschätzungen mit vorgegebenen Aussagen erlaubt eine umfassende Selbstreflexion mit den Feedbacks anderer und erleichtert die Möglichkeiten zur Analyse des Verhaltens des Feedbacknehmers – zum Beispiel mittels des Johari-Fensters.

Johari-Fenster

Das Johari-Fenster[5] ist ein Analyse-Modell, das Selbstbild und Fremdbild einander gegenüberstellt, wobei das Fremdbild aus mehreren Bildern zusammengesetzt sein kann. Es veranschaulicht die Übereinstimmungen und Unterschiede von Selbstbild und Fremdbild in vier Bereichen:

Offenheit: Welche Wirkungen des Verhaltens einer Person sind ihr selbst und anderen bekannt?
Blinder Fleck: Welche Wirkungen des Verhaltens einer Person sind ihr selbst unbekannt, aber anderen bekannt?
Geheimnis: Welche Wirkungen des Verhaltens einer Person sind ihr selbst bekannt, aber anderen unbekannt?
Unentdecktes: Welche Wirkungen des Verhaltens einer Person sind ihr selbst und anderen unbekannt?

Nachdem zuvor die Selbstreflexion und das Feedback zum Fremdbild die Wirkungen des Verhaltens einer Person weitgehend beschrieben haben, identifiziert die Analyse mittels des Johari-Fensters Möglichkeiten, Verhaltensänderungen durch bewusstes Erweitern der Offenheit zu erleichtern.

Übereinstimmende Einschätzungen von Verhaltensweisen in Selbstbild und Fremdbild geben Hinweise auf die Offenheit des Feedbacknehmers. Andere und die Person selbst sehen das Verhalten des Feedbacknehmers in gleicher, wenn auch in jeweils subjektiver Weise. Das Handeln des Feedbacknehmers ist transparent, was unbeschwerten Umgang miteinander erlaubt.[6]

  • Zum Beispiel wird sowohl im Selbstbild wie auch im Fremdbild das Hervorheben von Negativem als Verhaltensweise der eingeschätzten Person genannt.Da das Verhalten den Beteiligten bekannt ist, können sie offen darüber sprechen und sich darauf einstellen. Die eingeschätzte Person kann nach Gründen ihres Verhaltens suchen und entscheiden, ob sie es beibehält oder ändert.

Die Einschätzungen im Fremdbild, die dem Feedbacknehmer nicht bekannt sind oder die er nicht in gleicher Weise bemerkt, geben Hinweise auf seinen „blinden Fleck“. Der Feedbacknehmer ist „blind“ für die Wirkungen einiger seiner Verhaltensweisen und nimmt sie nicht oder nur unzulänglich wahr, andere jedoch registrieren sie – möglicherweise über nonverbale Signale. Feedbacks mit ihren Fremdbildern können auf Verhaltensweisen aufmerksam machen, die dem Feedbacknehmer zuvor nicht bewusst waren.

  • Zum Beispiel erzeugt eine eingeschätzte Person in schriftlichen Mitteilungen oft Unverständnis durch ihre kryptischen Abkürzungen.Die eingeschätzte Person war sich über die Wirkung ihres Verhaltens nicht im Klaren und kann jetzt, nachdem der „blinde Fleck“ zur Offenheit wurde, ihr Verhalten entsprechend ändern. Ihr „blinder Fleck“ hat sich reduziert, ihre Offenheit erweitert.
Unbewusste Verhaltensweisen ins Bewusstsein zu holen erlaubt die Entscheidung, sie beizubehalten oder zu verändern.

Manche Einschätzungen im Selbstbild finden sich im Fremdbild nicht wieder. Sie sind das Geheimnis des Feedbacknehmers – vielleicht weil er das Verhalten bewusst verbirgt oder weil er um sein Image fürchtet oder weil es ihm zu intim ist oder weil es den Feedbackgebern nicht auffällt. Das Geheimnis ist der eingeschätzten Person bekannt und anderen unbekannt.

  • Zum Beispiel fehlen einer eingeschätzten Person in Gesprächen mit ihrer Führungskraft oft die richtigen Worte und sie flüchtet sich dann in unverbindliche Äußerungen.Wenn die eingeschätzte Person ihrer Führungskraft das Geheimnis offenbart, kann ihre Führungskraft sich darauf einstellen und ihr etwa mehr Zeit zum Finden der richtigen Worte geben oder durch Nachfragen Mitteilungen präzisieren lassen. Überwindet sich die eingeschätzte Person und informiert von ihrem Geheimnis, erweitert sie ihre Offenheit.
Das bewusste Herausgeben von Informationen zum eigenen Verhalten kann Anspannung und Strapazen verhindern; dadurch wird Energie frei, die sonst verwendet würde, um das Geheimnis zu vertuschen.

Manche Verhaltensweisen sind weder der eingeschätzten Person noch den Feedbackgebern bekannt. Aussagen dazu tauchen weder in der Selbstreflexion auf noch im Feedback, weil sie nicht registriert werden oder als nur wichtig oder nicht als Besonderheit angesehen werden. Unentdecktes ist den Beteiligten nicht unmittelbar zugänglich und bleibt womöglich für immer unbekannt.

  • Zum Beispiel hat eine eingeschätzte Person ein besonderes Talent für räumliche Vorstellungen, was den Beteiligten entgangen ist.In der Selbstreflexion findet sich zu ihrer Begabung keine Aussage, weil der eingeschätzten Person ihre Fähigkeit nicht aufgefallen ist. Auch im Feedback ist dazu nichts erwähnt, weil die Beteiligten in keiner Situation das Talent registriert haben. So bleibt die Veranlagung unentdeckt, wird kein Teil der Offenheit.

Verhaltensänderung

Das Johari-Fenster zeigt die Chance für Verhaltens­änderungen durch mehr Offenheit – verbunden mit weniger Geheim­nissen und „blinden Flecken“. Die Aussagen in der Selbstreflexion und im Feedback geben hinlänglich Hinweise. Verhaltensänderungen lassen sich erreichen durch offenere Kommunikation – auch  mit Personen, die noch kein Feedback gegeben haben, die aber zu Feedbackgebern werden können. Mehr Offenheit braucht Mut und Vertrauen zu anderen und den Willen, offen zu kommunizieren – mehr noch als schon für den Wunsch nach Feedback notwendig war.

Wer anderen mehr über sich mitteilt, gibt ihnen die Möglichkeit, mehr Verständnis zu entwickeln und entsprechend zu reagieren.

  • Wer zum Beispiel anderen von beabsichtigten eigenen Verhaltensänderungen informiert, wird von einigen Unterstützung erfahren, von anderen Gleichgültigkeit und von wieder anderen Negatives. Die Reaktionen erlauben, das Miteinander zu festigen oder neu zu bewerten.Unabhängig von den Reaktionen braucht der offen Informierende keine Energie auf das Verheimlichen seines Vorhabens zu verschwenden, sondern kann sie für die angestrebte Änderung verwenden.

Die Folge von mehr Offenheit zeigt sich auch im Verhalten anderer, die jeweils auf ihre Weise die offenere Kommunikation spiegeln: Die Interaktionspartner akzeptieren einander besser, weil sie mehr voneinander wissen und daher einander besser verstehen. Die Zusammenarbeit funktioniert besser, weil Widerstände gegen Veränderungen abgebaut werden, weil die Beteiligten mehr reflektieren und sich Feedback voneinander holen. Sie entwickeln mehr Mut, neue Verhaltensweisen auszuprobieren, und informieren sich eher, wenn die Grenze am Übergang von ihrer Kompromisszone in ihre Panikzone erreicht ist. Sie erhalten mehr Erkenntnisse über sich und andere, was zu mehr Verständnis des zwischenmenschlichen Miteinanders führt und in der Folge zu bewussteren und entspannteren Beziehungen untereinander.

Selbstreflexion und vermutetes Fremdbild sowie Feedback mit der anschließenden Analyse mittels des Johari-Fensters geben Impulse für sinnvolle und bewusste Verhaltensänderungen und können das Miteinander in beruflichen und privaten Situationen erleichtern.

Peter Hilbert

Quellen

[1] Lars-Eric Petersen, Dagmar Stahlberg, Dieter Frey. Selbstwertgefühl
[2] Lars-Eric Petersen, Dagmar Stahlberg, Dieter Frey. Selbstwertgefühl
[3] Doris Wolf
[4] Heike Kersting
[5] Joseph Luft, Harrington Ingham
[6] Andrea Windolph